„Instrument mit sechs Tönen“ – Countertenor Patrick Dunachie über die King’s Singers

Über ein halbes Jahrhundert ist es her, dass sich am King’s College in Cambridge ein Grüppchen talentierter Chorsänger zusammenfand, um ein kleines, aber feines Vokalensemble zu gründen. Auch wenn von der Urbesetzung längst keiner mehr mit von der Partie ist, haben sich die King’s Singers in all den Jahren nicht nur ihren spezifischen fülligen Klang, sondern auch ihren Ruhm als eines der international führenden A-cappella-Ensembles bewahrt, das auf vielen Festivals gern gesehener Gast ist. Zum wiederholen Mal macht die „berühmteste Boygroup der Klassik“ im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) Station im hohen Norden. Der Kulturonkel hat mit dem Countertenor Patrick Dunachie gesprochen.

King’s Singers Countertenor Patrick Dunachie. Foto Agentur

Die King’s Singers sind wohl das berühmteste A-capella-Ensemble der Welt. Wie schafft es ein Ensemble über 50 Jahre erfolgreich zu sein?

Der Erfolg der King’s Singers liegt vermutlich darin, dass ihre Mitglieder dem Ensemble sehr lange angehören und dadurch die jahrzehntelange Tradition fortgesetzt wird, durch die eine große Vertrautheit und Routine entsteht. Gleichzeitig ist aber auch der regelmäßige Wechsel wichtig. Den ursprünglichen sechs Mitgliedern wären mittlerweile sicher die Ideen, die Energie und die Stimmen ausgegangen. Ich glaube die Kombination aus Modernität und Wandel auf der einen Seite und Tradition und Kontinuität auf der anderen Seite ist das Geheimnis des Erfolges.

Gibt es einen speziellen King’s-Singers-Klang?

Ich glaube schon. Der spezielle Klang hat viele Ursachen. Zum einen ergibt er sich aus der Zusammensetzung der Stimmen. Besonders die Tiefen mit einem Bass, zwei Baritonen und einem Tenor sind stark besetzt und bilden das füllige Fundament des Ensembles. Darüber erklingen die zwei hellen Countertenöre, die uns von anderen Ensembles unterscheiden. Wichtig für uns ist der Gruppengesamtklang. Dabei hört man nicht die einzelnen Stimmen, sondern es ergibt sich ein Klang wie bei einem Instrument mit sechs Tönen und nicht wie ein Klang aus sechs verschiedenen Instrumenten. Wären wir einfach sechs Solisten, die ihre normalen Stimmen verwendeten, dann würde das womöglich ganz ordentlich klingen, aber es wären eben nicht die King’s Singers. Schließlich spielt auch der Text eine wichtige Rolle in unserer Arbeit. Der Transport der Geschichte eines Liedes steht für uns über allem und da machen wir auch keine Kompromisse.

Sie touren jedes Jahr durch die Welt und verbringen sehr viel Zeit miteinander. Geht es hinter den Kulissen immer genauso harmonisch zu wie auf der Bühne?

Ich hoffte, darauf eine spannendere Antwort geben zu können, aber es geht auf und hinter der Bühne wirklich harmonisch zu. Was man auf der Bühne hoffentlich sieht, sind sechs Freunde, die Spaß daran haben, zusammen Musik zu machen. Das ist keine Show, sondern Realität. Natürlich sind wir sechs Individualisten, die auch mal Meinungsverschiedenheiten haben, aber wir gehen sehr respektvoll miteinander um und haben eine gute Streitkultur entwickelt.

Gibt es einen Punkt, wo Sie Abstand voneinander nehmen?

Es gibt schon Momente, bei denen wir auf Privatsphäre achten. So reisen wir zum Beispiel manchmal mit unterschiedlichen Flügen zu unseren Auftritten oder sitzen in einem Flieger nicht zusammen, um unser eigenes Ding machen zu können. Das schützt uns auch davor, ständig an die Arbeit zu denken. Außerdem gönnen wir uns drei Mal im Jahr eine ausgedehnte Urlaubsphase, in der wir versuchen, uns nicht zu treffen – es sei denn zum Spaß.

Wie sieht Ihr typischer Tagesablauf aus?

Das Schöne bei den King’s Singers ist es, dass nie ein Tag dem anderen gleicht. Aber natürlich gibt es gewisse Routinen und Muster, je nachdem wo wir uns in der Welt gerade aufhalten. Typischerweise wachen wir in einem Hotel auf, frühstücken zusammen, unternehmen etwas in Kleingruppen oder telefonieren mit unseren Angehörigen. Um die Mittagszeit herum erfolgt der Transfer zu unserem nächsten Auftrittsort, dort haben wir eine zirka zweistündige Probe zur Feinabstimmung des Abendprogramms und um neues Repertoire zu erarbeiten. Vor dem Konzert haben wir ein heiliges, zweistündiges Zeitfenster, in dem wir entweder Abendessen, mit zuhause telefonieren oder unsere Stimmen für den Auftritt aufwärmen. Dann ist irgendwann Showtime und anschließend lassen wir mit den Veranstaltern den Abend noch ausklingen, bevor wir zur Übernachtung ins Hotel fahren.

Die King’s Singers haben ein wahnsinnig breites Repertoire. Wie kann man eine so hohe Qualität in all den Bereichen erreichen?

Ich glaube der Schlüssel ist, dass wir nicht versuchen, die Stücke unseren Stimmen anzupassen, sondern unsere Stimmen den Stücken. Beim Vorsingen achten wir sehr darauf, wie ein Sänger seine Stimme dem Musikstil anpasst, sei es bei einem Brahms-Lied oder einem Solo in einem Popsong. Diese Vielfältigkeit und Beweglichkeit der Stimme in unterschiedlichen Genres einzusetzen, sind wirklich entscheidend für uns; und das versuchen wir jeden Abend auf der Bühne zu erreichen.

Ist es für Sie bei der Suche nach neuen Stücken wichtiger, unbekannte Sachen auszugraben oder relativ bekannte Stücke in einem neuen Licht zu präsentieren?

In unseren Programm liegt der Hauptfokus auf der Kombination aus verschiedenen Musikstilen und der daraus resultierenden Vielfalt. Unsere Stiftung vergibt jedes Jahr Aufträge an Gegenwartskomponisten aus aller Welt, neue Werk für uns zu schreiben. So bringen wir regelmäßig neue Musik auf die Bühne, die wir mit traditionellen A-Cappella-Werken und -Bearbeitungen mischen, so dass für jeden Konzertbesucher ein ganz persönlicher Moment entsteht, weil er entweder etwas Bekanntes wiederentdeckt oder sich auf etwas Neues einlassen kann.

Seit 2016 sind Sie Mitglied der berühmteste Boygroup der Klassik. Was hat Sie daran gereizt, Teil des Ensembles zu werden statt eine Solo-Karriere zu verfolgen?

Ich hatte immer gehofft, in einem Chor oder Solisten- Ensemble singen zu können; das ist für mich viel dankbarer als als Solist auf der Bühne zu stehen. Daher fühlte ich mich sehr geschmeichelt, zum Vorsingen bei einem Ensemble eingeladen zu werden, das ich seit meiner Jugend kenne und verehre. Ich schätze vor allem die Teamarbeit. Als Solist versuchst du, jeden Abend das Beste aus deiner Stimme herauszuholen. Im Ensemble kommt es auf genaues Zuhören an. Wir müssen in jedem Augenblick die eigene Stimme nach dem richten, was gerade bei den anderen passiert. Die Professionalität zeigt sich immer dann, wenn auf der Bühne mal etwas schief läuft, und die Sänger sofort Stimmen tauschen oder das Stück spontan so anpassen, damit es noch funktioniert.

Wie verläuft der Wechsel, wenn ein Sänger das Ensemble verlässt und ein neuer hinzustößt?

Ich habe das selbst im Jahr 2019 erlebt, als gleich zwei Sänger das Ensemble verlassen haben und zwei neue Mitglieder dazu kamen. Das war ein harter Wechsel und ist vorher erst zwei Mal passiert. Das ist dann viel Arbeit, vor allem für die neuen Mitglieder, die unendlich viel Repertoire lernen und möglichst schnell versuchen müssen, die stimmlichen Lücken zu füllen, um den gewohnten King’s Singers-Klang zu erhalten. Wenn sie sich dann eingelebt haben, versucht sich die Gruppe nach und nach dem neuen Ensembleklang anzupassen und die Stücke danach auszurichten. Das ist ein sehr langer, organischer Prozess.

The King’s Singers. Foto Frances Marshall

Die King’s Singers sind gern gesehene Gäste beim Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF). Was mögen Sie an diesem Festival?

Das SHMF ist ein sehr besonderes und einzigartiges Festival, das es schafft, ein Gemeinschaftsgefühl über ein sehr großes Gebiet zu erzeugen. Das Gefühl, stundenlang von einem Auftrittsort zum nächsten zu fahren und immer noch Teil des gleichen Festivals wie am Vortag zu sein, ist bemerkenswert. Dass Musik so viele Menschen in den unterschiedlichsten Regionen des Landes zusammenbringen kann, ist wundervoll.

In diesem Jahr kommt noch hinzu, dass wir wieder einen Meisterkurs in der wunderschönen Stadt Lübeck geben dürfen. Das macht immer viel Spaß. Und für uns Sänger ist es immer wieder aufregend in der Stadt zu sein, in der Dieterich Buxtehude Organist war und den Bach besucht hat, um ihn zu hören. Es scheint, als wenn Musik in jeder Gasse erklingen würde.

Johannes Brahms steht in diesem Jahr im Mittelpunkt des SHMF. Wie wichtig ist der Komponist für Sie als Sänger?

Für Sänger ist Brahms sehr wichtig. Er hat so viele unglaubliche Chor-Werke wie beispielsweise „Das Deutsche Requiem“ geschaffen. Allerdings gibt es nicht sehr viele Stücke, die für unsere Stimmen geeignet wären. Wir lieben seine „Part-Songs“ (Gesänge Op. 104), die wir auch beim Festival singen werden.

Brahms berührt mich allerdings am meisten durch seine Klavierwerke. Wenn ich zum Beispiel das „A-Dur-Intermezzo“ höre, klingt es für mich, als hätte Brahms es nur für mich geschrieben. Und Brahms‘ Abendlied kennt wahrscheinlich jedes Kind auf der Welt. Es ist faszinierend, dass diese einfache Melodie im Bewusstsein der Menschheit von Kindesbeinen an verankert ist. Seine Musik ist außergewöhnlich und daher finde ich es toll, dass das Festival ihn durch die Komponisten-Retrospektive in diesem Jahr ehrt.

Mit welchem Programm kommen die King’s Singers in diesem Jahr zum Festival?

Für den diesjährigen Festivalsommer haben wir aus unserer schier grenzenlosen Musikbibliothek ein Programm unter dem Titel „Live in concert“ zusammengestellt, das Klangperlen aus mehreren Jahrhunderten vereint und dabei Johannes Brahms in den Fokus stellt. Außerdem im Programm haben wir Werke des Minimalismus-Komponisten John Tavener, Renaissance-Musik aus England von Robert Parsons und natürlich einige geistliche Volkslieder. Mein Lieblingsstück ist das Auftragswerk „Piispa ja Pakana“ (Der Bischof und der Heide) des estnischen Komponisten Veljo Tormis, ein wirklich packendes Werk mit einem Sprachmix aus gregorianischem Gesang und altfinnischem Volkslied.

Zum Abschluss Ihres Aufenthalts in Schleswig-Holstein werden Sie wieder einen Meisterkurs in Lübeck geben. Ist das Pflicht oder Kür?

Wenn wir während unserer Tournee unterrichten, haben wir normalerweise nur ein oder zwei Stunden Zeit, um in einer Kirche oder Schule mit einem Chor zu proben. Wenn wir beim SHMF einen Meisterkurs geben, haben wir vier volle Tage, um mit verschiedenen Ensembles in der Musikhochschule sehr intensiv zu arbeiten und den Kern der Dinge zu ergründen – und das in schönster Kulisse. Für uns ist es ein besonderes Vergnügen, so lange an einem festen Ort arbeiten zu können und dabei die Sänger sehr gründlich kennenzulernen. Wir versuchen gemeinsam, das Besondere jeder Gruppe zu ergründen und deren Stärken auszubauen. Wie schon gesagt, ist für uns das Aufeinander-Hören sehr wichtig; das versuchen wir genauso zu vermitteln wie die Präsentation vor Publikum und das Grund-Handwerk des A Cappella-Gesangs. Das klingt nach harter Arbeit, ist aber auch viel Spaß. Daher freuen wir uns sehr auf diese Woche in Lübeck.

Hier können Sie das Interview mit Patrick Duchanie nachhören.