Avi Avital hat die Mandoline mit seiner Begeisterung und seiner Virtuosität in die großen Konzertsäle gebracht. Schubladen braucht der kreative Künstler dabei nicht – er liebt es, verschiedene Genres zu erkunden, spielt Bach und Vivaldi ebenso virtuos wie Klezmer, Tango oder Jazz und wird für seine elektrisierenden, grenzüberschreitenden Interpretationen inzwischen weltweit gefeiert. Seit er im Jahr 2017 Porträtkünstler des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) war, ist er gern gesehener Gast im Norden. Der Kulturonkel hat mit israelischen Star-Solisten gesprochen.
Als Sie vor zwanzig Jahren das erste Mal klassisches Repertoire auf der Konzertbühne spielten, war Ihr Instrument eine Kuriosität. Mittlerweile liebt Sie das Publikum für Ihre Programme, und Sie sind der erste Mandolinist, der für einen klassischen Grammy Award nominiert war. Glauben Sie, Sie haben es geschafft, die Mandoline auf der Konzertbühne zu etablieren?
Das müssen andere beurteilen, aber ich hoffe es doch sehr. In der Tat ist die Mandoline heute deutlich öfter auf der Konzertbühne zu erleben als vor zwanzig Jahren. Mir ist es in dieser Zeit gelungen, Konzertveranstalter und das Publikum davon zu überzeugen, dass die Mandoline ein genauso vielseitiges und anspruchsvolles Instrument ist wie die Geige, das Cello und das Klavier. Die Menschen möchten auch mal etwas hören, was sie noch nicht kennen und das frisch und originell klingt. Das beflügelt mich, immer neue anspruchsvolle und energiegeladene Programme zu entwickeln. Wenn diese dann beim Publikum ankommen, bin ich glücklich.
Was fasziniert Sie bis heute an der Mandoline?
Im Gegensatz zur Geige ist die Mandoline von Anfang an sehr intuitiv. Schon als ich sie zum allerersten Mal gezupft habe, konnte ich ihr ein paar ganz passable Klänge entlocken. Das hat mich natürlich motiviert! Wenn ich beispielsweise italienische Musik darauf spiele, klingt sehr folkloristisch. Wenn ich ein amerikanisches Geigenquartett spiele, klingt es nach Bluegrass und Jazz.
Außerdem fasziniert mich, dass es noch so viel über das Instrument zu entdecken gibt. Es ist sehr vielschichtig, besitzt viel Symbolkraft und Metaphern. Die „Canzonetta“ des Don Giovanni enthält zum Beispiel eines der selten Mandolinen-Soli, das nur 47 Sekunden lang ist. Mozart hat das aber so exakt komponiert, dass es nicht nur den Klang des Instruments, sondern auch die Szene widerspiegelt: die Mandoline ist der Frauenkörper des unschuldige Mädchens am Fenster, das Don Giovanni verführen will.
Welchen Stellenwert hat die Mandoline in der israelischen Kultur und Folklore?
Das Instrument hat eine interessante Geschichte in der Entwicklung Israels. Es gehört sicher nicht zum Mainstream, aber es ist sehr eng verbunden mit den Kibbuzim und der Besiedelung des Landes in der 1930er bis 1970er Jahren. Damals trafen Arbeiter und Intellektuelle, Marxisten und Sozialisten, Menschen vom Land und aus Berlin und Krakau aufeinander, um das Land nach dem Krieg aufzubauen und zu kultivieren. Kultur und Musik war sehr wichtig im Kibbuz und für das Zusammengehörigkeitsgefühl. Aber die Menschen hatten nur wenig Zeit zu üben und konnten nach getaner Feldarbeit keine filigranen Instrumente spielen. So gründeten sich in fast jedem Kibbuz Mandolinen-Orchester, in denen die Menschen abends beisammen saßen und gemeinsam musizierten. Das kostete nicht viel und erforderte keine komplizierten Proben. Das war neben der harten Arbeit eine wichtige Facette des Gemeinschaftslebens. Spätere etablierten sich dann auch in den Großstädten diese Mandolinen-Orchester mit professionellerem Anspruch.
Wie haben Sie die Mandoline für sich entdeckt?
Das war eigentlich Zufall. In meiner Heimatstadt Be’er Sheva gab es ein Jugendmandolinenorchester. Der Dirigent war eine sehr charismatische Person, ein hervorragender Pädagoge und ein wunderbarer Musiker. Als Achtjähriger habe ich einen älteren Nachbarsjungen zu einer Probe begleitet. Ich war so begeistert, dass ich unbedingt selber Mandoline spielen wollte. Wenn ich mir heute Aufnahmen von damals anhöre, bin ich noch immer über die Qualität des Orchesters erstaunt.
Wenn man sich Ihren Lebenslauf anschaut, gleicht der nicht dem eines Wunderkindes ehrgeiziger Eltern. Wie war Ihre Kindheit und wo liegen Ihre musikalischen Wurzeln?
Ich hatte eine normale und glückliche Kindheit, habe Fußball gespielt wie alle anderen, habe Nirvana und Pink Floyd gehört, Schlagzeug gespielt und ich hatte eine kleine Rockband. Musikunterricht war für mich nur eins von vielen Hobbys. Da es sonst keine Musiker in der Familie gibt, gab es auch keinen Druck von Seiten des Elternhauses. Ich habe das alles freiwillig und ungezwungen absolviert und erst später daran gedacht, mit der Musik meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Wahrscheinlich mussten Sie lange mit dem Image des Exoten leben – haben Sie nie erwogen, auf ein ’normales‘ Instrument umzusteigen?
An der Musikhochschule habe ich zunächst angefangen, für ein paar Semester Dirigieren zu studieren. Und im Gymnasium habe ich verschiedene Instrumente ausprobiert, weil ich auch an anderen Musikgenres interessiert war: ich habe Schlagzeug und Keyboard gespielt und hatte eine kleine Rockband. Aber das hat nicht lange gehalten. Irgendetwas hat mich immer an der Mandoline festhalten lassen.
Musikalisch sind Sie sowohl in der Klassik als auch bei Weltmusik, Klezmer und Jazz zuhause. Wie wichtig ist der Blick über den Tellerrand für Sie?
Das ist sehr wichtig für mich und liegt an meiner angeborenen Neugier für verschiedene Musikgenres. Ähnlich der russischen Balalaika und der griechischen Bouzouki verkörpert die Mandoline verschiedene Identitäten. Und die gemischte Identität liegt irgendwo zwischen klassischer und populärer Musik. Genau damit will ich spielen.
Als SHMF-Porträtkünstler haben Sie mehrere Wochen in Schleswig-Holstein verbracht und sind seitdem immer wieder gern gesehener Gast im Norden. Was mögen Sie an diesem Festival?
Als ich das erste Mal beim SHMF spielen durfte, sind mir die Augen und Ohren übergegangen. Damals habe ich begriffen, dass es eines der einzigartigsten Festivals ist, auf denen ich gespielt habe. Für mich ist ein Festival dann erfolgreich, wenn die Atmosphäre nicht nur im Konzertsaal zu spüren ist, sondern in der ganzen Stadt oder Region. Das ist für mich in Schleswig-Holstein der Fall. Der Funke springt im ganzen Land auf die Menschen über. Und gerade die kleinen Städte, die sonst nicht die Gelegenheit haben, ein Konzert zu veranstalten, putzen sich heraus und zeigen sich von ihrer besten Seite. Das SHMF mit seinem Ambiente, den Kirchen und Kuhställen, ist schon etwas Besonderes.
Mit welchem Programm kommen Sie in diesem Jahr zum SHMF?
Das sind zwei wunderschöne Programme, an denen ich im letzten Jahr gearbeitet habe.
Zunächst spiele ich mit meinem musikalischen Freund, dem Gitarristen Miloš, ein Recital. Die Mandoline und die Gitarre sind eine sehr offensichtliche und schöne Kombination. Sie stammen aus der gleichen Klangfamilie, aber ergänzen sich gegenseitig. Die Gitarre übernimmt den tiefen Bereich und die Mandoline den Sopran. Wir werden eine reizvolle Mischung aus Werken von Bach über Brahms bis Philip Glass spielen, ergänzt durch die sieben spanischen Lieder von Manuel de Falla und eine Sonate des französischen Komponisten Mathias Duplessy, die er speziell für uns geschrieben hat. Wir haben also alles genommen, was wir lieben, und ein Programm zusammengestellt, das sich zwischen zwei Extremen bewegt, dem Minimalismus Philip Glass‘ und dem Universalismus Bachs, aber auch wunderbar ergänzt.
Und dann feiere ich Weltpremiere mit meinem vor kurzem gegründeten »Between Worlds Ensemble«, mit dem ich mir einen lange gehegten Wunsch erfülle. Durch die jahrelange vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Festival konnte diese Projekt endlich realisiert werden, dafür bin ich Christian Kuhnt sehr dankbar. Die Idee dahinter ist, Musik, die durch Folklore inspiriert ist, neu zu arrangieren und auf zeitgemäße Weise wieder aufzuführen. Wir nehmen zum Beispiel Werke von Manuel de Falla, die fürs Klavier komponiert wurden, und ergänzen sie durch die Mandoline und Percussion. Dadurch fügen wir ein paar Klangfarben hinzu, die zum folkloristischen Ursprung zurückführen. Außerdem bearbeiten wir echtes Folklore-Material für die Gegenwart; tun also das, was auch de Falla und Bartók vor hundert Jahren bereits taten. Als Bartók von Dorf zu Dorf zog, um von alten Leuten Volkstänze zu sammeln, war das eine Revolution. Heute verfügen wir über ein ganz anderes musikalisches Weltwissen. Es schien mir an der Zeit, jenes Gefühl wiederzubeleben, das klassische Komponisten Anfang des 20. Jahrhunderts hatten, als sie herausfanden, dass es ja noch so viel mehr Formen von traditioneller Musik gibt als die Klassik selbst.
Zum Beispiel hat Jonathan Keren Klezmer-Melodien aus Odessa für das Ensemble neu arrangiert, wir spielen Gegenwartskompositionen des türkischen Pianisten Fazıl Say und von David Bruce, die sehr stark von Folklore beeinflusst sind. Wir musizieren also in einer Zwischenwelt, die weder von lupenreiner Klassik noch von reinem Folk dominiert wird. Diesem Raum habe ich schon vor Jahren für ein Album den Namen »Between Worlds« gegeben. Und nun freue ich mich, endlich mit gleichgesinnten Instrumentalist:innen das »Between Worlds Ensemble« gegründet zu haben, das Weltpremiere beim SHMF feiern wird.