Dörte Hansen: „Brinkebüll ist überall“

Nach ihrem gefeierten Debütroman „Altes Land“ brachte die in Husum geborene Schriftstellerin Dörte Hansen 2018 mit „Mittagsstunde“ einen zweiten Bestseller heraus und rückt den Schleswig-Holsteinern damit geographisch auf die Pelle: Das fiktive Dorf Brinkebüll, von dem das Buch handelt, liegt in Nordfriesland. Das Schicksal des Ortes – es geht um den Verlust alter Traditionen und Strukturen im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen in den 60er Jahren – ist vergleichbar mit dem von Dörfern in der ganzen Republik, sein Charakter aber ist schleswig-holsteinisch durch und durch, wie auch die Mentalität seiner Bewohner.

Im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) kommt die 58jährige zusammen mit dem Schauspieler Thomas Niehaus, der in der umjubelten Bühnenadaption am Hamburger Thalia Theater in der Hauptrolle des Ingwer zu sehen war, ins Stadttheater Heide.

Dem Kulturonkel die Autorin, was das Publikum erwartet.

Dr. Dörte hansen Foto Sven Jaax

Worauf darf das Publikum sich bei Ihrem Programm freuen?

Der Schauspieler Thomas Niehaus und ich werden einen literarisch-musikalischen Streifzug durch Brinkebüll unternehmen. Thomas wird in seiner Rolle als Ingwer Feddersen Schlager und Neil Young-Songs singen und spielen; ich werde dazu passende Stellen aus meinem Roman „Mittagsstunde“ lesen.

Nicht zuletzt mit Hilfe des jeweiligen Musikgeschmacks zeichnen Sie liebevoll die Charaktere der Figuren. So ist jedes Kapitel des Buches mit einem Songtitel überschrieben. Wie sind Sie auf diesen „Kunstgriff“ gekommen?

Das kam eigentlich durch Maret, die leicht verrückte, jüngere Frau, die Schlagerlieder liebt und die Texte wörtlich nimmt. Sie hält das, was in den Liedern gesungen wird, für wahr. Die Liedzeilen passten daher ganz oft zu ihr. „Schöner fremder Mann“ zum Beispiel. Dann fiel mir ein, dass Titel wie „Young man look at my life.“ auch exakt zum Verhältnis zwischen Feddersen senior und Feddersen junior passten. Und so habe ich nach und nach eine Art Soundtrack für Brinkebüll gefunden.

Wie laufen die Proben?

Wir haben viel Spaß bei den Proben. Wir haben die ersten Male bei mir in Husum im Büro geübt und nun gehen wir langsam mal auf eine richtige Probebühne. Für uns ist dieses Programm sehr spannend und wir hoffen, dass es dem Publikum genauso gut gefällt.

Wenige Tage nach Ihrer Lesung feiert die Verfilmung von „Mittagsstunde“ in der Regie von Lars Jessen Premiere in den Kinos. Sie waren teilweise bei den Dreharbeiten dabei. Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung und dem Ergebnis?

Ich bin mit dem Film sehr zufrieden, er ist wunderbar gelungen. Es ist ein schöner, ruhiger und stimmungsvoller Film geworden, bei dem ich gelacht und geweint habe.

Schauplatz ist das fiktive Dorf Brinkebüll. Hat er Ähnlichkeit mit dem Ort, in dem Sie aufgewachsen sind?

Ja, hat er, aber auch mit so ziemlich jedem anderen Geestdorf. Und offenbar sind die Dörfer in Bayer, Schwaben oder im Rheinland auch nicht viel anders. Jedenfalls sagen mir das meine Leser sehr oft. Offenbar ist Brinkebüll überall.

Sowohl in „Altes Land“ als auch in „Mittagsstunde“ zieht es die Protagonisten von der Stadt aufs Land. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie persönlich im Stadt- und Landleben? Haben Sie selbst eine ähnliche Erfahrung wie ihre Figuren gemacht?

Das Landleben ist buchstäblich freigeräumter. Daher kann ich auf dem Land auch besser schreiben. Aber ich brauche auch regelmäßig das Gewusel, die Anregung und Inspiration einer Großstadt. Deshalb bin ich sehr oft in Hamburg. Der Wechsel aus Stadt und Land ist für mich ideal.

In „Mittagsstunde“ schreiben Sie vom Untergang der dörflichen Welt. Nicht zuletzt durch Corona zieht es zur Zeit viele Stadtmenschen aufs Land, wo sie vieles in Bewegung setzen. Kann so der ‚Untergang des Dorfes‘ überwunden werden?

Corona hätte es dafür nicht gebraucht, hat es aber vielleicht beschleunigt. Ich glaube, auf dem Land passiert gerade ganz viel Neues. Das Dorf, das früher eher eine bäuerliche Zweckgemeinschaft war, erfindet sich gerade neu. Und zwar auch durch die Menschen, die aus der Stadt dazu kommen. Ich finde das, was da gerade passiert, sehr spannend. Das Gefühl, dass das Dorf seine Stunde Null hinter sich hat, und dass es jetzt wieder bergauf geht.

Nach dem Bestsellererfolg „Altes Land“ hat es 3,5 Jahre gedauert, bis Sie „Mittagsstunde“ fertig hatten. Ist so ein Bestseller eine Bürde?

Es liegt vermutlich daran, dass ich im Schneckentempo schreibe. Natürlich spüre ich einen Erwartungsdruck. Teilweise mache ich mir den auch selbst. Aber ich glaube, der Druck ist noch um einiges größer nach einem Flop. Ich will nicht über die Lasten und Qualen einer Bestseller-Autorin klagen, das wäre Jammern auf höchstem Niveau.

Mit Ihren Büchern haben Sie plötzlich Ruhm und Aufmerksamkeit erlangt. Plötzlich sind Sie eine literarische Berühmtheit. Wie sind Sie damit umgegangen?

Im Alltag merke ich davon ziemlich wenig. Kein roter Teppich weit und breit. In meiner Familie werde ich leider auch nicht wirklich als Promi verehrt (lacht); aber wenn man auf eine Buchmesse fährt oder zu einer Lesung und schon von weitem das eigene Konterfei auf Plakatgröße sieht, dann ist das schon sehr unwirklich. Je nach Tagesform macht mich das dann glücklich oder panisch.

Sie selbst sind nach vielen Jahren Studium und Leben in Hamburg nach Nordfriesland zurückgezogen. Hatten Sie Heimweh?

Leichtes Heimweh war da; glücklicherweise auch bei meinem Mann, der auch aus Nordfriesland kommt. Das passte dann ganz gut.

Was inspiriert Sie an Norddeutschland, einer Gegend, die so dünn besiedelt ist und der von vielen eine gewisse Nüchternheit vorgeworfen wird?

Gerade das: Das Unverschnörkelte und das Raue scheinen mich beim Schreiben zu inspirieren.

Sie arbeiten momentan an Ihrem dritten Roman. Worum geht es? Wird er auch in Norddeutschland spielen? Wann wird er erscheinen?

Der dritte Roman ist schon fertig und erscheint im September. Er heißt „Zur See“ und spielt auf einer fiktiven Nordsee-Insel.

Sie haben sich extra ein Büro zum Schreiben eingerichtet. Wie arbeiten Sie?

Lustigerweise stellt man sich Schriftstellerin wohl noch oft am Küchentisch vor oder in einer leeren Kammer unterm Dach. Mein Eindruck ist, dass männliche Kollegen viel selbstverständlicher ihr eigenes Büro haben. Ich habe das jetzt seit ein paar Jahren auch, fahre dort morgens hin wie in die Firma und dann fahre ich nach Feierabend wieder zurück. Auf Inspiration kann man nämlich unter Umständen lange warten. Man muss sich einfach hinsetzen und arbeiten. Und wenn man Glück hat, trudeln die Musen dann irgendwann ein.

Sie sind mit Plattdeutsch aufgewachsen, sprechen zuhause immer noch platt mit der Familie. Was können Sie als Schriftstellerin, was kann Literatur tun, damit diese Sprache nicht ausstirbt – vor allem bei jungen Leuten?

Die Literatur wird das Plattdeutsche leider nicht retten. Snackt dat mit jüm Kinner, dat is dat eenzige, wat hölpen deit.