Andreas Ottensamer: „Ich will meinen Alltag nicht einem verstaubten Image der klassischen Musik unterordnen“

Der Klarinettist Andreas Ottensamer zählt zur neuen Generation von Musikern, die mit der Zeit gehen. Neben anderen jungen Kollegen zeigt sich der Solo-Klarinettist der Berliner Philharmoniker auf sozialen Netzwerken gern von der „coolen“ Seite: modisch, sportlich, mit gestähltem Sixpack. Zum SHMF Konzert am 2. August im Meldorfer Dom kommt der 33jährige mit seinem Programm „The Hungarian Connection“, in dem er die Stilistik und Gepflogenheiten des diesjährigen Porträtkomponisten Johannes Brahms in seinen traditionellen ungarischen Liedern und Tänzen erforscht. Andreas Guballa hat mit dem österreichisch-ungarischen Musiker über das Programm und das Klischee des eher verstaubten Klassikbetriebs gesprochen.

Klarinettist Andreas Ottensamer. Foto Katja Ruge

Was genau erwartet das Publikum?

In „The Hungarian Connection“ geht es um die ungarischen Einflüsse, die in allen Werken von Johannes Brahms mal versteckt mal offensichtlich vorhanden sind. Wir stellen diese Bezüge in den Vordergrund und direkt neben die Musik von Brahms, um den Ursprung seiner Inspiration auszuleuchten.

Sie haben selbst österreichisch-ungarische Wurzeln. Hilft das, die Tonsprache von Brahms besser zu verstehen?

Man muss diese Musik wirklich empfinden und spüren. Wenn da ungarische Rhythmen und musikalische Motive zitiert und genutzt werden, ist das schon einfacher, wenn man die Musik im Blut hat oder in der Kindheit aufgesogen hat.

Sie bringen das Kelemen Quartett und eine Gipsy Banda mit nach Meldorf. Was schätzen Sie an diesen Ensembles?

Das sind ganz tolle Musiker. Barnabas Kelemen ist ein Wahnsinnsgeiger und sowohl in der Klassik als auch in der ungarischen Volksmusik beheimatet. Er ist ein sehr intuitiver Musiker, der aus dem Herz und Bauch heraus spielt und so ein Feuer der Begeisterung entfachen kann. Jeder, der schon mal in einem ungarischen Wirtshaus war, weiß, dass dort ein Stehgeiger, ein Zimbalon-Spieler und ein Kontrabassist so richtig aufspielen und ordentlich Stimmung machen können. Dieses Erlebnis wollen wir auch nach Schleswig Holstein bringen.

Sie entstammen einer der bedeutendsten österreichischen Musikerfamilie. Ihr Vater war, Ihr Bruder ist Solo-Klarinettist der Wiener Philharmoniker, Ihre Mutter ist Cellistin. Wäre bei diesem familiären Hintergrund überhaupt eine andere Berufswahl für Sie möglich gewesen als Musiker?

Natürlich. Ich bin sehr vielseitig interessiert und habe immer sehr viel Sport getrieben. Diese Interessen habe ich immer gepflegt. Daher war es nie in Stein gemeißelt, dass ich ausschließlich Musik machen würde. Ich finde es wichtig, dass man offen durchs Leben geht und Erfahrungen sammelt, die man auch als Musiker braucht. Wenn man nur im privaten Kämmerlein seine Tonleitern übt, ist man vielleicht technisch perfekt, aber man hat keine persönliche Bandbreite, die man in die Musik legen kann. Und das ist etwas, was wir als Musiker tun müssen: Wir müssen Emotionen und Charaktere vermitteln. Das geht eben nur, wenn man auch lebt.

Was fasziniert Sie an der Klarinette, dass Sie dieser männlichen Familientradition treu geblieben sind und kein anderes Instrument gewählt haben?

Ich habe mit Klavier und Cello angefangen und dann erst Klarinette gelernt. Auch da herrschte von vornherein eine große Offenheit, die ich heute noch als wertvoll empfinde. Der Klang der Klarinette hat dann einfach meine Neugierde stärker gefesselt, weil ich ihn als sehr natürlich empfinde. Das lag vermutlich auch daran, dass mein Vater und mein Bruder zuhause immer geübt haben. Wir konnten dann zu dritt Kammermusik machen, was den Spaßfaktor erhöht hat. Wenn man dann noch merkt, dass man sich auf dem Instrument gut ausdrücken kann und sich rasch weiterentwickelt, fällt dann irgendwann die Entscheidung. Ich finde es sehr wichtig, dass beim Erlernen eines Instruments neben der Disziplin der Spaß am Musizieren nicht zu kurz kommt.

Mittlerweile haben Sie auch die Leidenschaft zum Dirigieren entdeckt. Wird man Sie demnächst öfter auch am Pult erleben können?

Ja, durchaus. Das ist für mich schon jahrelang ein Thema und ich habe mich in der letzten Zeit intensiver damit auseinandergesetzt und Dirigieren in Weimar studiert. Dabei kommen mir nun die Erfahrungen am Klavier, mit dem Cello und der Klarinette sehr zugute. Deshalb orientierte ich mich in der nächste Saison schon sehr stark Richtung Dirigentenpult.

Nun sind Sie nicht nur als Musiker auffallend, sondern auch Ihr lockeres Auftreten in den sozialen Medien ist immer wieder Gesprächsstoff. Dort präsentieren Sie sich als modischer, sportlicher Mann mit weißen Sportschuhen im Konzert und nacktem Oberkörper auf instagram. Welche Reaktionen haben Sie bekommen?

Dass so eine Frage Gesprächsstoff bietet, zeigt, wie verstaubt unser Branche noch ist. Dass man sich rechtfertigen muss, warum man im Konzert Sneakers trägt oder wie man sich modisch anzieht, zaubert mir ein Schmunzeln ins Gesicht. Dadurch sieht man, wie rückschrittlich wie in Deutschland in der klassischen Musik sind. Das ist ein Bereich, in dem wir wirklich mal ein paar Schritte vorwärts gehen können und dadurch auch attraktiver für junge Leute oder für Menschen, die gar nicht aus der klassischen Musik kommen, werden könnten. Durch die sozialen Netzwerke erreicht man diese Gruppen ja sehr gut und kann Brücken schlagen zu anderen Genres wie Jazz, Rock oder Ballett sowie Branchen wie Mode und Sport. Dieses lockere Auftreten ist ja keine Masche, sondern mein Alltag. Und ich habe keinen Bock meinen Alltag einem verstaubten Image der klassischen Musik unterzuordnen. Es sollte doch eher andersrum sein. Glücklicherweise stehe ich mit dieser Einstellung nicht alleine da, sondern es gibt mittlerweile ja eine neue Künstlergeneration mit coolen Typen. Wenn die ihre Persönlichkeit in unsere Branche einfließen lassen, dann hilft das dem Klassikbetrieb nur.