„Eine Musikerkarriere ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf“

Der schottische Gitarrist Sean Shibe erhält den Leonard Bernstein Award

Der schottisch-japanische Gitarrist Sean Shibe verbindet unterschiedliche Stile und Genres seines Instrumentariums. Dabei spielt der 29jährige nicht nur klassische Gitarre, sondern experimentiert auch mit verschiedenen Lauteninstrumenten und E-Gitarre, um seine klanglichen Horizonte zu erweitern. Für sein herausragendes musikalisches Können, seine reiche Fantasie und den Mut, neue Wege zu beschreiten, erhält das sympathische Ausnahmetalent in diesem Jahr beim Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) den mit 10.000 Euro dotierten Leonard Bernstein Award der Sparkassen-Finanzgruppe.

Viele Jugendliche lernen Gitarre, um Freund oder Freundin am Lagerfeuer zu beeindrucken. Wie sind Sie zur Musik und zur Gitarre gekommen und was fasziniert Sie am Instrument?

In meinem Elternhaus wurde viel gesungen, Avantgarde-Jazz, Arbeiterlieder und Blues gehört und in Konzerte gegangen. Zur Gitarre bin ich eher zufällig gekommen. An meiner Grundschule gab es verschiedene Arbeitsgemeinschaft, in denen man auch ein Instrument lernen konnte und für die man nichts zahlen musste. In einem Geschäft in der Nähe unserer Wohnung lag eine Gitarre im Schaufenster, die meine Mutter für 50 Pfund gekauft und mir in die Hand gedrückt hat. Und ich dachte: Warum nicht?! Mit dieser Haltung habe ich dann Gitarre gelernt, bis ich später am Royal Conservatoire of Scotland und bei Paolo Pegoraro in Graz studiert habe. Von das aus hat sich alles Weitere ganz organisch ergeben.

Was mich an der Gitarre fasziniert hat, kann ich gar nicht genau sagen. Ich fand sie anfangs eher enttäuschend. Sie klang nicht lange nach, hatte kein großes Volumen, keinen Schalldruck und es gab kaum gute Musik. Es gibt eigentlich kein herausragendes Werk für das Instrument. Trotzdem habe ich an der Gitarre festgehalten, weil das Instrument eine besondere Qualität hat: diese außergewöhnliche Vielfalt an Klangfarben. Und da sie bei Lautstärke und Nachklang so schlecht abschneidet, fühlte ich die Verpflichtung eine Illusion dieser fehlenden Qualitäten zu kreieren durch die Manipulation der Klangfarbe.

Warum haben Sie sich entschieden, klassische Gitarre zu studieren und nicht Gitarrist in einer Rockband zu werden?

Das lag einfach an meinem Elternhaus und meiner musikalischen Erziehung. Meine Eltern waren eher in der Klassik zuhause und auch ich spüre eine gewisse Konservativität in mir.

Sie spielen nicht nur klassische Gitarre, sondern experimentieren auch mit verschiedenen Lauteninstrumenten und E-Gitarre, um klangliche Horizonte zu erweitern. Arrangieren Sie diese Musik selbst?

Ich vergebe viele Auftragswerke. In den nächsten Jahren werden ziemlich viele Originalkompositionen von Gegenwartskomponisten erscheinen, die ich bewundere – sowohl junge, aufstrebende Komponisten als auch bekannte, etablierte Musiker. Sowohl für Gitarre und Orchester als auch kürzere Stücke für Solo-Gitarre. Ich fühle mich irgendwie verpflichtet diesen Mangel an Originalkompositionen auszugleichen. Dabei ist mir wichtig, dass die Komponisten selbst nicht unbedingt Gitarristen sind, sondern einen neuen Blick auf das Instrument haben.

In diesem Jahr bekommen Sie als erster Gitarrist den Leonard Bernstein Award. Wie wichtig ist Ihnen diese Auszeichnung?

Das ist unglaublich. Vor allem, weil ich schon so viel über das Festival gehört habe und viele meiner Freunde den Bernstein Award bereits bekommen haben. Wir haben immer herumgealbert, was man denn machen müsse, um den Preis zu erhalten. Vor allem ist er aber eine Bestätigung des künstlerischen Weges, den ich eingeschlagen habe, auf dem ich akustische und elektrische Gitarre kombiniere und Repertoire spiele, das einige – sagen wir mal – eher ungewöhnlich finden. Dafür habe ich schon viel Kritik – auch aus meiner engeren Umgebung – einstecken müssen. Dieser Preis ist eine Ermutigung, dass dieser Weg nicht ganz falsch sein kann.

Mit dem Festivalorchester werden Sie im Rahmen der Preisverleihung das populäre »Concierto de Aranjuez« von Joaquín Rodrigo aufführen. Warum haben Sie sich für dieses Stück entschieden?

Kaum ein anderes Gitarrenkonzert bietet diese außergewöhnliche Melodienvielfalt. Rodrigo hat schon damals die Formen seiner Zeit mit den Ideen des Neo-Barocks und der Renaissance kombiniert. Das ist vor allem am Anfang des ersten Satzes klar zu hören, wo er die Gitarre noch eher als begleitendes Rhythmus-Instrument für ein Barockorchester einsetzt als als Solo-Instrument. Und der zweite Satz darf als echter Gassenhauer bezeichnet werden.

Sie werden zusammen mit dem Festivalorchester auftreten. Gibt es etwas, das Sie als aufstrebender Star jungen Menschen mit auf den Weg geben wollen, die von der großen Klassikkarriere träumen?

Ich hatte bereits die Gelegenheit, ein paar Tage mit Christoph Eschenbach und dem Festivalorchester zu proben. Diese talentierten, jungen Musiker sind irgendwo am Ende der Welt für sieben Wochen in Drei-Mann-Zimmern untergebracht und haben trotzdem so viel Spaß, sind optimistisch und energiegeladen. Das ist so cool.

Ehrlicherweise gibt es nicht viele Parallelen zwischen der Karriere eines Solisten und eines Orchestermusikers. Deren Leben wird stark geprägt sein durch Vorspielen, Meisterkurse und Orchesterakademien. Was wir aber alle wissen, ist, dass die Musikerkarriere kein Sprint, sondern eher ein Marathon ist, man braucht viel Ausdauer. Auf diesem Weg sollte man den Glauben an sich selbst nicht verlieren, den Mut haben, neue, ungewöhnliche Richtungen einzuschlagen und seinen persönlichen Wertekompass im Auge behalten.

Wie sehen Ihre nächsten musikalischen Schritte aus?

Kurz nach der Preisverleihung wird meine neues Album „Lost & Found“ erscheinen, das zu hundert Prozent der elektrischen Gitarre gewidmet ist. Es ist eine faszinierende Reise mit Musik aus vier Jahrhunderten von Hildegard von Bingen über Olivier Messiaen bis Chick Corea. Alles Außenseiter, Mystiker, Visionäre, die oft mehr als eine Identität hatten und wie ich unterschiedliche künstlerische Traditionen, Genres oder Zielgruppen bedienen.

Dann werde ich einige Konzerte in Italien und London spielen. Im Februar startet meine erste größere US-Tour entlang der Westküste von San Francisco bis San Diego. Und dann rechne ich mit den ersten Auftragswerken, bei denen ich mich auf die Auseinandersetzung mit den Komponisten freue. Ich hoffe, so den Grundstein legen zu können für ein Repertoire, das nicht nur mich, sondern auch nachfolgende Generationen inspiriert.

Zur Person:

Sean Shibe, geboren 1992 in Edinburgh, studierte am Royal Conservatoire of Scotland und bei Paolo Pegoraro an der Kunstuni Graz. Er war der erste Gitarrist, der zum »BBC Radio 3 New Generation Artist« gekürt und mit dem »Borletti-Buitoni Trust Fellowship« ausgezeichnet wurde. Zu den Preisen, die Sean Shibe außerdem erhielt, gehören etwa der »Royal Philharmonic Society Award for Young Artists« (2018) und der Gramophone Award in der neu geschaffenen Kategorie »Konzeptalbum« für seine von der Kritik gefeierte Aufnahme »softLOUD« (2019). Am 19. August erhält er den mit 10.000 Euro dotierten Leonard Bernstein Award der Sparkassen-Finanzgruppe.