Midori: „Ich habe Musik von Johannes Brahms schon als kleines Kind gehört.“

Johannes Brahms’ Violinkonzert stellt zweifelsohne eine der strahlendsten Säulen der diesjährigen Komponistenretrospektive des SHMF dar. Nicht nur, dass es sich dabei wohl um eines der bedeutendsten Meisterwerke im OEuvre des Komponisten handelt, es gehört mit Sicherheit zu den wichtigsten Kompositionen dieser Gattung überhaupt. Zur Aufführung kommt es am 18. August im Deutschen Haus Flensburg mit der Ausnahmegeigerin Midori als Solistin, der zwei Tage später der Brahmspreis der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein in Wesselburen verliehen wird.

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Was bedeutet Johannes Brahms für Sie als Geigerin?

Ich habe Musik von Johannes Brahms schon als kleines Kind gehört und zwar die dritte Sonate d-moll, in die ich mich sofort verliebt habe. Ich erinnere mich noch an diese Melodie, die plötzlich beginnt und sich wie Regentropfen anhört. Mittlerweile habe ich natürlich die Partitur aus vielen Perspektiven kennenlernt – sowohl als Geigerin in verschiedenen Konzerten und mit verschiedenen Partners als auch als Lehrerin und als Zuhörerin von verschiedenen Aufnahmen. Und das Stück wächst immer weiter in mir und ist jedes Mal wie neu. Aber dieses Gefühl, dass ich hatte, als ich die Melodie zum ersten Mal gehört habe, ist bis heute unvergesslich.

Mit dem „Principal Conductor“ des Festivals Christoph Eschenbach haben Sie viele Konzerte, unter anderem in Hamburg und Schleswig-Holstein, zusammen gespielt. Leonhard Bernstein, der Erfinder des SHMF, sagte mal, er verstünde die Musik Brahms‘ viel besser, seit er die Landschaft und die Menschen der Region kennengelernt hätte, in der Brahms aufgewachsen ist. Ging es Ihnen ähnlich?

Natürlich ist es etwas Besonderes auf den Straßen und Wegen zu wandeln, auf denen schon Brahms oder andere große Komponisten gegangen sein könnten, und sich zu überlegen: was mag er damals gedacht haben, was hat ihn wohl bewegt? Man fühlt sich diesen Komponisten dann noch stärker verbunden. Wenn dann noch die Musik dazu kommt, die an diesen Orten entstanden ist, entdeckt man plötzlich noch mehr Facetten dieses Menschen.

Sie werden am 20. August mit dem Brahmspreis der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein ausgezeichnet. Was bedeutet der Preis für Sie?

Ich fühle mich sehr geehrt, denn natürlich gehört das Brahms’ Violinkonzert für uns Streicher zum Kernrepertoire; es ist eines der bedeutendsten Meisterwerke im OEuvre des Komponisten und gehört mit Sicherheit zu den wichtigsten Kompositionen dieser Gattung überhaupt. Ich freue mich immer, wenn ich es – wie in diesem Jahr zum Beispiel beim Schleswig-Holstein Musik Festival in Flensburg – aufführen kann. Ich liebe aber ebenso seine Kammermusik und die Sonaten; ich fühle mich auch sehr berührt von seinen Liedern. Und seine Sinfonien nicht zu vergessen. All‘ seine Kompositionen sind sehr bedeutend, alle einzigartig und verschieden, und dennoch unbestreitbar typisch Brahms. Er ist ein Komponist, der nicht nur mich beeinflusst hat, sondern auch die ganzen großen Meister nach ihm wie Bartok oder Schumann.

Was verbinden Sie mit dem Festival?

Es hat sich ziemlich verändert, seit ich das erste Mal dort war – ich glaube das war 1987. Zuallererst schätze ich das Festival Orchester, in dem junge Leute aus aller Welt zusammen spielen. Die Arbeit mit ihnen hat so viele faszinierende Facetten. Auch in den Meisterkursen habe ich es immer genossen, mit jungen Menschen arbeiten zu dürfen. Das Festival hat so viele verschiedene Komponenten, es ist einfach sehr viel los – das ist an sich schon aufregend. Aber es ist auch sehr mit den Menschen und dem Land verbunden und bringt seit über zwei Jahrzehnten klassische Musik in Orte abseits des normalen Konzertbetriebs. Das ist eine wunderbare Idee, die ich ja auch mit meiner Organisation „Partners in Performance“ verfolge.

Seit Ihrer frühesten Kindheit spielen Sie Geige. Gibt es ein Stück, das sich wie ein roter Faden bis heute durch Ihr Leben zieht?

Ich habe immer Geige gespielt und erinnere mich nicht, wann genau ich anfing, mir der klassischen Musik bewusst zu werden. Sie war immer da. Ein Teil meiner Karriere besteht darin, dass ich verschiedene Arten klassischen Repertoires – von Bach bis zur Neuen Musik – erforschen konnte. Und das hält mich stets neugierig.

Neben ihren Auftritten in aller Welt engagieren Sie sich auch als passionierte Musikpädagogin und internationale Kulturvermittlerin, haben Ihre eigenen Stiftungen und kooperieren mit verschiedenen Non Profit Organisationen. Warum ist Ihnen dieses Engagement so wichtig und worin besteht Ihre Aufgaben?

Ich betrachte es als etwas ganz Besonderes in meinem Leben gleichgesinnten Menschen Musik näher zu bringen, die möglicherweise keinen anderen Zugang dazu haben, oder Musik als Bestandteil einer umfassenden Bildung zu integrieren. Musik muss in allem eine wichtige Rolle spielen. Ich bin in vielen verschiedenen Funktionen unterwegs, einmal durch meine Stiftungen, dann als Friedensbotschafterin der Vereinten Nationen und auch privat. Schlussendlich kann ich meinen Einfluss überall ausüben, sei es im Konzertsaal, wenn ich Schüler unterrichte, oder wenn ich für eine der Organisationen, die ich gegründet habe, aktiv bin. Menschen zu zeigen, wie man Musik in verschiedene Gesellschaftsschichten bringen kann und zu Personen mit unterschiedlichen persönlichen Fähigkeiten, wirtschaftlichen Hintergründen und sozialer Herkunft, genieße ich sehr.

Sie sind nicht nur Geigerin, sondern haben auch Psychologie studiert. Würden Sie sich wünschen, dass alle Künstler so vielseitig sind und nicht nur Musik machen?

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass Musiker ihren Horizont erweitern und sich auch mit anderen Dingen beschäftigen. Mir hat das Studium der Psychologie den Horizont wirklich geöffnet und geholfen, mich besser zu organisieren: meine Zeit, meine Gedanken und Ideen, wie man verschiedene Informationen untersucht, wie man sie analysiert und wie man Dinge zusammensetzt. Bei mir hat es funktioniert.

Sie sind so vielseitig engagiert. Wie bringen Sie das alles zeitlich in Einklang?

Mir gefällt die Arbeit, die ich in all diesen verschiedenen Bereichen, in denen ich involviert bin, ausüben kann. Jedes Projekt inspiriert die anderen und sie dienen als Motivation für neue Projekte. Und irgendwie findet sich immer die Zeit dafür.

Wie haben Sie die Pandemie erlebt?

Man darf nicht vergessen, dass wir noch immer mitten in der Pandemie sind und die Spätfolgen viele Menschen betreffen werden. Und ich meine damit nicht nur diejenigen, die mit dem Corona-Virus infiziert waren und die noch immer mit Nebenwirkungen leben müssen. Ich denke vor allem an die Entwicklung der Psyche unserer Kinder, die noch lange beschädigt sein wird, wenn die Pandemie für beendet erklärt werden sollte. Und angesichts der neuen Varianten hoffe ich, dass wir weiterhin vorsichtig sein werden.

Dessen ungeachtet habe ich während des Lockdowns sehr viel gelernt, vor allem wie man über das Internet nicht nur kommunizieren, sondern sogar unterrichten kann. Ich bin da selbst ein bisschen überrascht über mich, weil ich nicht gedacht hätte, dass ich diese technischen Dinge verstehen würde. Faszinierend fand ich auch wie kreativ die Menschen wurden und welche neuen Projekte entstanden sind. Und wie wichtig plötzlich die Kultur gesellschaftsübergreifend war. Ich habe aber auch festgestellt, wie wichtig der persönliche Kontakt zu den Menschen ist. Daher freue ich mich natürlich, endlich wieder live auf einer Bühne stehen und Musik zusammen mit dem Publikum erleben zu können.

Zur Person:

Die 1971 im japanischen Osaka geborene Midori gehört zu den herausragenden Geigerinnen unserer Tage und ist eine viel beachtete internationale Kulturbotschafterin und passionierte Musikpädagogin. 2007 ernannte sie der UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zur Botschafterin des Friedens. Seit ihrem Debüt im Alter von elf Jahren mit dem New York Philharmonic und Zubin Mehta arbeitete Midori mit den großen internationalen Orchestern und wichtigen Musikern zusammen und berührt seitdem das Publikum mit ihrem höchst präzisen und intensiven Spiel.