Zu seiner Zeit ein Kassenschlager erfreut sich der 1921 erschienene Film „The Kid“ des Allround-Genies Charlie Chaplin – der nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern ebenso für Regie, Drehbuch, Schnitt, Produktion und auch für die Musik verantwortlich ist – noch heute größter Beliebtheit. Anrührend erzählt und mit Slapstick-Einlagen vom Feinsten gespickt, lässt die Geschichte eines Landstreichers, der sich aufopferungsvoll um einen Waisenjungen kümmert, kein Auge trocken. Nicht zuletzt die unverwechselbaren Melodien, die Charlie Chaplin den Bildern zugrunde legte, beflügelten den enormen Erfolg des Films.
Beim Schleswig-Holstein Musik Festival spielt das Festivalorchester unter Leitung von Stefan Geiger nun den Originalsoundtrack und zieht den Hörer unmittelbar ins Geschehen hinein, während der komplette Film auf Großbildleinwand gezeigt wird. Ein Interview mit dem Filmmusikspezialisten und Dirigenten.
Sie dirigieren am 14. und 15. August den Original-Soundtrack zum Stummfilmklassiker „The Kid“ von Charlie Chaplin. Warum erfreut sich der Film aus dem Jahre 1921 noch heute größter Beliebtheit?
Charlie Chaplin gilt ja zurecht als der Regisseur und Produzent von Stummfilm-Klassikern schlechthin, sein Ruf und sein Ruhm ist nie verhallt. Dass er nicht nur die Filme konzipiert, selbst die Hauptrolle gespielt und Regie geführt hat, sondern auch die Musik selbst schrieb, macht ihn zu einem Genie von Weltrang. Diese Genialität besteht bis heute.
Wie talentiert war Charlie Chaplin als Komponist seiner eigenen Werke?
Die wenigsten wissen, dass er sogar einen Oscar für die Filmmusik zu seinem letzten Filme „Lime Light“ bekommen hat. Tatsächlich war er aber kein ausgebildeter Musiker. Er hat ein bisschen Geige gespielt und seine musikalischen Ideen gespielt, gesungen und gepfiffen. Er hatte immer Menschen an seiner Seite, die dann seine Ideen zu Papier gebracht und orchestriert haben. Das war bei „The Kid“ Eric James, der auch als Musical Associate genannt wird.
Sie gelten als Filmmusikspezialist. Was fasziniert Sie an diesem Genre?
Das ist eigentlich dem Zufall geschuldet. Zu Studienzeiten durfte ich bei einem Projekt mitmachen, bei dem es darum ging, wie man einen Film begleitet und eine Partitur konzipiert. Das hat mich sehr begeistert. In diesem Stummfilmprojekt habe ich noch Posaune gespielt, habe mich dann aber bei der ersten Möglichkeit, die sich mir bot, dem Genre dirigierender Weise genähert. Anders als bei einem sinfonischen Konzert, bei dem der Dirigent alleiniger Meister des Timings ist, ist man bei einem Filmmusikkonzert eher der Diener des Films. Denn der Film gibt das Tempo vor und man ist gehalten, die Synchronizität zur Leinwand herzustellen. Das ist eine ganz besondere Herausforderung, denn man hat eigentlich zwei Zeitebenen im Kopf: einmal die musikalische Ebene, die man auch beim normalen Dirigieren hat, und gleichzeitig die Dramaturgie des Films. Wenn man das beides zusammenbekommt, ist es besonders beglückend. Hinzu kommt, dass gerade auch Komödien wie Chaplins „The Kid“ besonderen Spaß machen, weil man als klassischer Musiker das nicht erleben darf, was wir in Husum und in Lübeck bestimmt erleben können, nämlich direktes Lachen, manchmal sogar direkten Applaus des Publikums. Einen Stummfilm zu begleiten ist manchmal wie ein Rockkonzert, weil das Publikum vergisst, dass es im klassischen Konzert ist; man fühlt sich wie im Kino und lacht einfach drauf los. Das ist ein tolles Gefühl, denn dieses Lachen kommt nur zustande, wenn Musik und Film wirklich synchron sind.
Was macht man, wenn man mal aus dem Takt kommt?
Natürlich klappt das Begleiten nicht immer. Ich erinnere mich mit Schrecken an eine Buster Keaton-Westernkomödie, in der Schüsse ganz akkurat durch kurze Schläge auf die kleine Trommel begleitet werden sollten. Es gibt nichts Peinlicheres, als wenn das Publikum eine Pistole rauchen sieht und der Pistolenschuss erklingt dann zwei Sekunden später. Da muss man dann durch und einfach weitermachen, als ob nichts passiert wäre.
Arbeiten Sie beim Dirigieren mit technischen Hilfsmitteln?
Ich habe keine Hilfsmittel außer der Partitur und der genauen Kenntnis des Films. Über den Noten der Partitur steht, meistens von mir noch ergänzt, der Handlungsstrang des Films und man muss genau wissen, in welchem Takt was passiert. Das heißt, man muss den Film gut kennen.
Wie oft haben Sie ihn schon dirigiert?
(lacht) Unzählige Male.
„Einen Stummfilm zu begleiten ist manchmal wie ein Rockkonzert, weil das Publikum vergisst, dass es im klassischen Konzert ist; man fühlt sich wie im Kino und lacht einfach drauf los.„
Sie erarbeiten das Konzert mit dem Festivalorchester. Zu Ihren Studienzeiten haben Sie dort selbst als Posaunist mitgespielt. Welche Erfahrungen haben Sie damals gewonnen, die Ihnen später für Ihre Karriere zugute gekommen sind?
Ich freue mich tatsächlich wahnsinnig, dass ich auf diese Weise zum Schleswig-Holstein Musik Festival zurückkehren darf. Für jeden Musiker sind Jugendorchester sehr prägend und entscheidend, da man sich schon im Studium bzw. manchmal auch schon vor dem Studium ausprobieren und in den Beruf des Musikers hineinschnuppern kann. Das ist grundsätzlich eine tolle Sache. Beim SHFO kommt natürlich noch die Internationalität hinzu und das Gefühl, dort gefühlt mit der ganzen Welt gemeinsam musizieren zu können. Das ist etwas ganz Besonderes und hat tatsächlich mein Wunsch, diesen Beruf zu ergreifen, gefestigt.
Macht es einen Unterschied, ob man Filmmusik dirigiert oder Mozart und Beethoven?
Das möchte ich nicht miteinander vergleichen. Natürlich dirigiere ich leidenschaftlich gerne ganz normale Sinfoniekonzerte, und jede gelungene Aufführung ist immenses Glück. Beim Filmkonzert kommt noch der Spaß des direkten Feedbacks durch das Publikum hinzu und natürlich der Genuss des Films. Wobei man als Dirigent aufpassen muss, dass der Blick bei besonders lustigen oder sentimentalen Momenten nicht auf der Leinwand hängenbleibt.
Welcher Film hat der Meinung des Filmspezialisten nach den besten Soundtrack?
Die beste Filmmusik ist die, die den Film am besten unterstützt. Da gibt es ein paar Kombinationen, bei denen der Film ohne die entsprechende Musik und umgekehrt nicht denkbar wäre. Dazu kann man auch Charlie Chaplin zählen; obwohl seine Musik nicht die raffinierteste und ausgefeilteste ist, hat sie genau die Melancholie, den Charme und den Witz, den der Film als solcher transportiert. Insofern ist Chaplins Musik die beste Filmmusik zu seinen Filmen. Aber natürlich kann ich keinen Spielberg-Film oder kein „Star Wars“ sehen, ohne die grandiose Musik von John Williams. Auch da geht das eine mit dem anderen Hand in Hand.
Charlie Chaplin in concert
Sa. 14.08.2021 | 20 Uhr | Musik- und Kongresshalle Lübeck
So. 15.08.2021 | 19 Uhr | Messe Husum
Karten: 0431 23 70 70