König des Tangos: 100 Jahre Astor Piazzolla

Astor Piazzolla hat den Tango neu erfunden.
Heute, 100 Jahre nach seiner Geburt, ist Tango so aktuell wie nie, denn die ehemals verrufene Musik der Bordelle und Spielhallen ist längst in internationalen Konzertsälen angekommen. Foto www.ARTE.tv

„Ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann“, so versuchte der Komponist Enrique Santos Discépolo einst den Tango in Worte zu fassen. Schmerzlich und schön, geheimnisvoll und leidenschaftlich – Tango ist mehr als Musik, mehr als Bewegung. Tango ist so charakteristisch wie ein Wiener Walzer oder ein ungarischer Csárdás – aber eben viel heißer. Der größte Meister der Tango-Musik, gewissermaßen der Tango-König, ist Astor Piazzolla. Er brach mit den Regeln des traditionellen Tangos und brachte die volkstümliche argentinische Musik in die internationalen Konzerthäuser. Der legendäre argentinische Komponist und Bandoneon-Spieler wäre am 11. März 100 Jahre alt geworden.

Der Tango war für den jungen Astor Piazzolla keine Liebe auf den ersten Blick. Als Sohn italienischer Einwanderer in Buenos Aires geboren, wuchs er in New York auf, wo er im Alter von sechs Jahren sein erstes Bandoneon von seinem Vater geschenkt bekam; den Tango, mit dem dieses Instrument in Verbindung stand und den der Vater über alles liebte, mochte der Junior aber gar nicht. Vielmehr entdeckte er bald die klassische Musik für sich, vor allem die Kompositionen Johann Sebastian Bachs, die ein Pianist in der Nachbarschaft täglich spielte. Und er begeisterte sich für die Big-Band-Hits von Duke Ellington, George Gershwin und Benny Goodman. Tango, Bach, Jazz – das sollten die Inspirationsquellen für den Musiker Piazzolla werden, dem das Bandoneon schließlich doch ans Herz wuchs. Als er 16 Jahre alt war, kehrte er mit seiner Familie nach Buenos Aires zurück, nahm Kompositionsunterricht bei seinem Landsmann Alberto Ginastera, später bei Nadia Boulanger in Paris. Zunächst verschwieg er ihr, dass er bereits mehrere Tangos komponiert und gespielt hatte und präsentierte ihr seine klassischen Kompositionen, die von Ravel, Bartók und Strawinsky beeinflusst waren. Boulanger war aber letztlich diejenige, die Piazzolla darin bestärkte, weiterhin Tangos zu komponieren, da seine eigene Handschrift in diesen Werken besonders gut zur Geltung komme. Als Piazzolla ein Jahr später nach Argentinien zurückkehrte, begann er eine Neuinterpretation des Tangos – den kammermusikalischen „Tango Nuevo“ – und gilt seitdem als der Erneuerer des Tango Argentino. Er veränderte Rhythmik, Harmonik und Tempi; hinzu kamen Elemente der argentinischen Folklore, der Barockmusik, der Neuen Musik und des Jazz. Selbst Pop und Rock klingen zuweilen diskret durch. Und dennoch verlor Piazzollas „Tango Nuevo“ nie die sinnliche Melancholie und die temperamentvolle Energie, die tänzerische Dramatik und die vibrierende Erotik des traditionellen Tangos. Für diesen neuen Kompositionsstil stieß er zunächst auf große Kritik, da viele Argentinier ihre Nationalmusik in Gefahr sahen. Grund dafür war die Tatsache, dass seine Kompositionen nicht tanzbar sind, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Sie fordern vielmehr zum konzentrierten Hören auf.

Davon unbeeindruckt, blieb Piazzolla seinem unverkennbaren Stil treu und erlangte Ende der 1960er Jahre breite Popularität. Obwohl – oder gerade weil – Piazzollas Musik in keine stilistische Schublade passt, hat sie nichts an ihrer magischen Anziehungskraft verloren und besitzt auch heute einen festen Platz im Repertoire zahlreicher Tango-, Jazz- und Klassik-Ensembles. Astor Piazzolla starb am 4. Juli 1992 in Buenos Aires an den Folgen eines Gehirnschlages.


CD-Tipp

Anlässlich des Geburtstages der argentinischen Tango-Legende veröffentlichen die Brüder Claudio und Oscar Bohórquez zusammen mit Piazzollas Weggefährten Gustavo Beytelmann das Album ‚Piazzolla: Patagonia Express‘. Das Trio greift nicht nur das musikalische Erbe Piazzollas, sondern auch das von Beytelmann komponierte Repertoire auf und führt den Hörer so in die leidenschaftliche und geheimnisvolle Welt des Tangos.

Best. Nr. 030156BC
Label: Berlin Classics
Vertrieb: Edel:Kultur
VÖ: 29.01.2021

Fernsehtipp
„Astor Piazzolla, Tango Nuevo“
Daniel Rosenfelds Dokumentation ist eine Hommage an den Begründer des „Tango Nuevo“. Das einfühlsame Filmporträt stützt sich auf bisher unveröffentlichte Dokumente und Interviews.

Mo, 29. März , 0:50 Uhr auf ARTE
(vom 11. März bis 27. Mai in der Mediathek)

Foto: www.ARTE.tv