Als „Tatort“-Kommissar Klaus Borowski ermittelt Axel Milberg in Kiel. Doch er selbst lebt schon lange nicht mehr dort. Zum Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) kehrt der 62jährige nun in den Norden zurück und spürt dem Schwerpunktkomponisten des Festivals, Johann Sebastian Bach, in einem literarisch-musikalischen Abend nach.
Sie haben vor drei Jahren schon einmal mit Caspar Frantz zusammengearbeitet und dem damaligen Schwerpunktkomponisten Joseph Haydn nachgespürt. Was mögen Sie an dem Format?
Caspar Frantz kam damals auf mich zu mit der Idee, Joseph Haydn von dem falschen „Papa Haydn“-Image zu befreien als gemütlicher, braver und vorhersehbarer Komponist. Er hat mir einen ganze Stoß Literatur von Zeitgenossen zur Verfügung gestellt, durch den ich mich durchgearbeitet habe. Als Klassikfan hat das meine Lust geweckt, mich intensiver mit dem Komponisten zu beschäftigen. Leider ist diese Ausgangssituation nicht mit Bach zu vergleichen, weil es über ihn nur wenige Aussagen von Zeitgenossen gibt.
Fast alle Texte, die Johann Sebastian Bach vertonte, waren geistlichen Ursprungs. Konnten Sie recherchieren, was Bach sonst gelesen haben mag?
Verlässlich gibt es da keine Informationen außer verschiedene Bibelübersetzungen und Bibelformate. Das gab uns die Freiheit das auszusuchen, was wir interessant finden. Bei einer ersten Annäherung haben wir uns zunächst mit den Abenteuern des „Simplicissimus“ von Grimmelshausen und dem Dreißigjährigen Krieg beschäftigt. Dazu passend hatte Caspar Frantz die französischen Suiten von Bach herausgesucht, in denen er Europa in stilisierten Tänzen zum Klingen bringt. Das reichte mir aber nicht, war mir zu vornehm und zu erwartbar. Daher bin ich noch einmal in die Recherche gegangen und habe den Vorschlag bekommen, mich mit Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“ und Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ zu beschäftigen. Defoe ist ein Zeitgenosse von Bach und wurde gerade neu übersetzt. Das war ein guter Ausgangspunkt für uns, um das spielerisch zusammenzufügen. Herausgekommen sind Texte zum Gotteserlebnis und die Erfahrungen tiefer Religiosität, die sowohl in der Biografie Bachs als auch im abenteuerlichen Leben von Robinson vorhanden sind. Das Hadern mit Gott, der Glaube, die Suche nach Trost, die Verzweiflung, das Erleben der Schöpfung sind alles Themen dieser Zeit. Individualität, Disziplin und Ordnung sind hochinteressante Themen, die unmittelbar in die Zeit der Aufklärung, aber auch der Gegenwart führen. Sie sind heute aktueller denn je. Und damit sind wir beim Kern dessen, was wir an diesem Abend rund um Bach anbieten.
Sie sind zur Kieler Gelehrtenschule gegangen, haben Theater und Klavier gespielt. Welche Beziehung haben Sie zur klassischen Musik?
Durch mein Elternhaus bin ich kulturell stark geprägt worden und es gab auch nicht den Widerstand, mich davon loszueisen oder dagegen an zu gehen. Von acht bis 20 Jahren hatte ich Klavierunterricht – ich bin dankbar dafür und spiele noch heute für den Hausgebrauch leidlich gut.
Was schätzen Sie an Ihrem Klavierpartner Caspar Frantz?
Er ist ein freundlicher, heiterer, unbeschwerter Mensch, was die Zusammenarbeit mit ihm sehr einfach und unkompliziert macht. Die Beschäftigung mit der Musik scheint gute Laune zu machen und es ist sehr unterhaltsam ihm zuzuhören, wenn er über Musik spricht. Als Professor in Leipzig ist er ja im Training, Musik zu vermitteln. Dabei ist er sehr bescheiden und zurückhaltend und lässt mir da meinen Platz. Es ist ein großes Vergnügen mit ihm zu arbeiten.
Als gebürtiger Kieler und häufiger Gast kennen Sie das SHMF gut. Was mögen Sie am Festivalgedanken, Kultur aufs Land in Herrenhäuser und Scheunen zu bringen?
Ich habe mir immer gewünscht, beim Festival aufzutreten – schon lange bevor ich das erste Mal gefragt wurde. Musik zu den Menschen zu bringen ist ein notwendiger Teil unseres Lebens. Es zu verbinden mit Orten, die für sich genommen schon ein Erlebnis sind, ist mir sehr vertraut. Das ist eine tolle Idee, die mittlerweile ja explodiert ist und sich vital gehalten hat über viele Jahrzehnte. Eigentlich eine sehr naheliegende Idee, aber auch ein Kraftakt für die Veranstalter.
Sie sind vor kurzem unter die Buchautoren gegangen und haben Ihren Debütroman „Düsternis“ vorgelegt, in dem Sie von Ihrer Kindheit in Kiel erzählen. Wie kam es dazu, dass Sie Ihr Leben, Ihre Kindheit und Jugend in Literatur verwandeln wollten?
Ich habe schon als Teenager mit 17 Jahren begonnen zu schreiben und wollte Schriftsteller werden. Als ich mich mit 22 Jahren für die Schauspielerei entschieden habe und auf die Otto-Falckenberg-Schule gegangen bin, habe ich überhaupt nicht mehr geschrieben, sondern mich anders ausgedruckt. Es überfiel mich dann später einfach der Gedanke, mit Wörtern wiederzugeben, was ich beobachtet hatte. Der Roman ist nur zum Teil autobiografisch und Vieles ist Fiktion. Das hat mir besonderen Spaß gemacht: die Genauigkeit der Erinnerung, das Entdecken von Dingen, die möglich gewesen wären, das Gedankenspiel. Es ist kein Buch, in dem ich das Thema bin, sondern ich sehe durch das Auge des Kindes, das meinen Namen hat, auf die Welt.
Sie beschreiben in Ihrem Roman, dass es Ihnen als Kind in dem idyllischen Stadtteil Düsternbrook, in dem Sie behütet aufwuchsen, mitunter sehr langweilig war. War das ein Nährboden für Ihre Sehnsucht zur Schauspielerei?
Ich fand die Möglichkeiten dort begrenzt, war aber durch Bücher wie Karl May angeregt die weite Welt zu entdecken. In Kiel war alles sehr vorhersehbar; das hat mich verrückt gemacht. Als Schauspieler konnte ich ganz viele unterschiedliche Leben leben und ausprobieren.