Sänger, Gesellschaftskritiker und absolutes Energiebündel auf der Bühne: Konstantin Wecker (72) ist einer der bekanntesten Liedermacher des Landes. Im August kommt der Münchner zu zwei Open Air Konzerten in den Norden.
Herr Wecker, Sie setzen sich seit Jahren gegen Rechtspopulismus ein. Bei der zurückliegenden Europa-Wahl ist der befürchtete Rechtsruck in Deutschland ausgeblieben; jedoch haben die Populisten im europäischen Ausland gepunktet. Hat Europa aus seiner Geschichte nicht gelernt?
Deutschland hat in den 1970/80er Jahren seine Vergangenheit deutlich besser aufgearbeitet als andere Länder dieser Welt. Man muss sich nur mal überlegen, dass die USA bis heute den Massenmord an den indianischen Ureinwohnern verschweigt. Es gibt eine Verunsicherung der Menschen, weil die ökonomische Schere soweit auseinander klafft, und einige wenige Reiche eine ungeheuer große Macht haben. Dadurch ist leider eine großer Platz für gewissenlose Populisten entstanden. Allerdings wird durch die aktuelle Strache-Affäre in Österreich klar, was ich schon seit Jahren versuche zu predigen: dass die rechtspopulistischen Parteien nicht die Fürsprecher des kleinen Mannes sind, als die sie sich immer ausgeben. Sondern, dass sie Parteien des Kapitals sind. Das ist in diesem Video ganz klar geworden und hat einigen Menschen, die noch am Schwanken waren, die Augen geöffnet. Ich glaube, der große Fehler war, dass sich fast alle Parteien zu sehr auf die Rechtspopulisten eingelassen haben. Hätte man sie leerlaufen lassen, wären die Rechten nicht so groß geworden.
Ihre aktuelle Tournee heißt „Weltenbrand“. Ist die Welt denn noch zu retten?
Ja, sonst würde ich nicht mehr auf Tournee gehen. Ich spüre auf meinen Konzerten einen spirituellen Wandel des Publikums. Diese Menschen sind nur etwas leiser. Es gibt viele Menschen, die in der Lage sind, mit dem Herzen zu denken; nur die werden halt niedergebrüllt.
Sie haben mal gesagt, „Poesie und Musik können vielleicht die Welt nicht verändern, aber sie können denen Mut machen, die sie verändern wollen“. Würden Sie das noch so unterschreiben?
Mehr als denn je. Ich habe noch nie so stark wie heute gemerkt, wie Kunst ermutigen kann. Als 17jähriger hätte ich ohne Henry Miller und Dostojewski, ohne Lyrik und Poesie meine Pubertät nicht überstanden, weil ich Leute gefunden habe, die genauso dachten wie ich. Mir hat Kunst immer Mut gemacht. Auf meinen Konzerten spüre ich in den letzten zwei Jahren noch deutlicher als früher, wie Menschen in der Gemeinschaft Mut und Kraft sammeln.
Sie machen aus Ihrer Meinung keinen Hehl und äußern sie auch gern in der Öffentlichkeit. Ärgert es Sie, dass sich zu wenig Künstler politisch positionieren?
Es muss ja nicht jeder ein politisches Lied schreiben; aber zur Zeit sollte sich jeder, der irgendwie im Lichte der Öffentlichkeit steht, eindeutig und öffentlich zur Demokratie bekennen. Die jungen Kollegen haben da ihre eigenen Wege, um an ihr Publikum zu kommen. Darunter gibt es auch sehr viele, die sich deutlich positionieren. In meinem Label haben ich an die zwanzig junge begabte Künstler, die klar Stellung beziehen.
Sie sind im Juni 72 Jahre alt geworden und geben Konzerte, die mitunter drei Stunden dauern. Woher nehmen Sie die Energie?
Die Energie bekomme ich vom Publikum. Das sind so schöne Momente, wenn man spürt, dass man gemeinsam schwingen kann. Wir haben die gleiche Sehnsucht. Wenn ich irgendwo alleine und publikumsfern schriebe, würde ich wahrscheinlich zum Zyniker werden. Mir gibt die Begegnung mit den Menschen sehr viel Kraft.
Das heißt an Rente ist noch nicht zu denken?
Nein. Zumal ich in den letzten Jahrzehnten nicht besonders sinnvoll gehaushaltet habe und noch weiterhin für meinen Unterhalt und den meiner Familie sorgen muss.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, was ohne Kunst aus Ihnen geworden wäre?
Die Frage hat sich nie gestellt, weil ich ja nichts anderes gelernt habe. Ich wäre ein wahnsinnig schlechter Techniker und Handwerker. Das einzige Handwerk, das ist gelernt habe, ist Klavier spielen. Daher konnte ich mir nie etwas anderes vorstellen, zumal ich aus einem künstlerischen Elternhaus kommt. Mein Vater war Opernsänger und ich habe bis zu meinem Stimmbruch mit ihm immer die wunderbarsten Sopranpartien gesungen. Ich bin mit dem Kunstlied groß geworden. Daher wahrscheinlich auch meine Sehnsucht für die Poesie.
Der Titel Ihrer Autobiographie „Das ganze schrecklich schöne Leben“ ist der Name eines Liedes, das Sie vor vielen Jahren geschrieben haben und das mit den Worten beginnt: „Man müsste noch mal fünf, sechs Jahre sein und das vergessen, was danach geschah.“ Wären Sie gerne noch mal ein Kind?
Oh ja. Ich versuche auch immer wieder das Kind in mir herauszulocken und zu bewahren. Ich bin ja ein später Vater und war schon 50 Jahre alt als mein erstes Kind geboren wurde. Diese Zeit, als die Kinder klein waren, das Wunder des Kindseins so bewusst miterleben zu dürfen, war ein Geschenk. Mit 30 Jahren war ich zu umtriebig und zu sehr in meiner künstlerischen Arbeit verfangen, als dass ich es damals hätte aufnehmen können. Das Entdecken der Wunder dieser Welt, was Kinder Tag für Tag erleben, sollten wir wieder lernen.
Gibt es Stationen in Ihrem Leben, die Sie gern vergessen würden? Ich denke da natürlich vor allem an Ihre Drogen-Jahren…
Die Zeit bleibt ein philosophisches Paradoxon. Hätte ich bestimmte – auch leidvolle – Erfahrungen nicht gemacht, dann wäre ich zu bestimmten Gedanken und Bewusstseinsschritten nicht gekommen. Natürlich würde ich gern auf einziges, was ich getan habe, im Nachhinein verzichten. Aber ich möchte die Erkenntnis, die ich daraus gewonnen habe, nicht missen.
Am 8. und 9. August kommen Sie mit Ihren musikalischen Mitstreitern Fany Kammerlander und Jo Barnikel in den NOrden. Worauf darf das Publikum sich freuen?
Auf einen wirklich musikalisch wertvollen Abend. Fany Kammerlander ist eine großartige Cellistin mit einem atemberaubenden Ton und sowohl in der Klassik- als auch in der Popwelt zuhause. Mein Freund Jo Barnikel begleitet mich seit über 50 Jahren auf Tour und ist ein überragender Pianist. Das ist eine schöne Besetzung, um die stilleren Lieder zum Klingen zu bekommen. Aber es wird gleichzeitig auch ein politisches Programm werden, das kann ich mir zur Zeit nicht verkneifen.
Wie wichtig ist Ihnen die Nähe zum Publikum und die Atmosphäre des Auftrittsortes?
Ich liebe die Abwechslung. Natürlich ist die Elbphilharmonie extrem aufregend und zum Glück hatten wir bei unserem Konzert im März eine gute Akustik. Die kleineren Konzerte haben aber diese gewisse Intimität, bei der ich mich an die Zeit zurückerinnere, in der ich auf Kleinkunstbühnen gespielt habe. Ich genieße das. Was ich nicht mag, sind Auftritte in Stadien. Wenn man so viele Leute vor sich hat, wird man plötzlich sehr plakativ; die leichte Ironie geht verloren und die zarten Zwischentöne. Das finde ich für meine Musik nicht geeignet.