Kammermusik ist wie das Vitamin zum Leben

Violinist Daniel Hope spielt romantische Klavierquartette und ist in diesem Sommer in Schleswig-Holstein präsent.

Er ist im besten Sinne des Wortes ein Tausendsassa: Der britische Violinist Daniel Hope tritt seit über 20 Jahren in der ganzen Welt als virtuoser Solist auf und gilt als kammermusikalischer Vollprofi, er hat drei Bücher veröffentlicht, moderiert Fernsehshows und hat sich als Initiator von Konzeptkonzerten einen Namen gemacht. Immer wieder beweist der 41jährige, wie findig er das scheinbar immer gleiche klassische Repertoire in neuen Zusammenstellungen verschieden beleuchtet – und hat dabei sogar die eine oder andere Neuheit zum Vorschein gebracht. Nun ist bei der Deutschen Grammophon sein kammermusikalisches Album mit romantischen Klavierquartetten von Mahler, Schumann und Brahms erschienen. Andreas Guballa hat mit dem Weltklasse-Violinisten gesprochen.

Welchen Stellenwert hat die Kammermusik für Sie im Klassikbetrieb?

Ich kann mir klassische Musik ohne Kammermusik nicht vorstellen. Kammermusik ist für mich wie das Vitamin, die wir zum Leben brauchen. Nirgends ist Musik unmittelbarer und intimer. Schon als kleines Kind habe ich angefangen, Kammermusikliteratur zu studieren und zu lieben. Daher ist sie ein wichtiger Bestandteil meines Repertoires.

 

Warum haben Sie sich bei Ihrer aktuellen Veröffentlichung für die drei Klavierquartette von Schumann (Klavierquartett in Es-Dur op. 47), Brahms (Klavierquartett in g-Moll op. 25) und Mahler (Klavierquartett in a-Moll) entschieden?

Die Gattung Klavierquartett ist im Klassikbetrieb leider unterrepräsentiert. Brahms und Schumann sind für mich zwei Meister der Romantik, die auf der einen Seite so unterschiedlich sind wie man es sich nur vorstellen kann. Auf der anderen Seite sind sie jedoch eng miteinander verbunden. Wir haben es dem Geiger Joseph Joachim zu verdanken, dass der junge Johannes Brahms ein Entree bei den Schumanns bekommen hat. Bei dem ganz jungen Gustav Mahler, der diesen unvollendeten Satz als Teenager geschrieben hat, merkt man ganz klar, dass er seinen Blick noch Richtung Brahms gewendet hat, während er schon seinen eigenen Weg geht. Damit eröffnet er einen neuen Horizont für die Weiterentwicklung des romantischen Klangideals dieser Zeit. Ich wollte die romantische Ader in diesem Album untersuchen und der Frage nachgehen, wohin der romantische Einfluss danach hingegangen ist.

 

Haben Sie auch eine romantische Ader?

Sicherlich. Was mich fasziniert ist die Romantik insgesamt. Gerade wenn man sich die Musik, Literatur und Kunst der Romantik anschaut, hat das wenig mit Kerzenschein und Rosen zu tun. Es war ein Aufbruch und Gewagtes. Das haben wir heute vergessen und denken eher an das Liebliche und das Schöne.

 

Wie bei all Ihren Projekten spürt man auch auf diesem Album Ihre Detailfreude und Gefühlsintensität. Warum ist das so wichtig für Sie?

Detailtreue ist das A und O für mich als Musiker. Meine Aufgabe ist es, die Werke von Komponisten zu interpretieren – an die Quelle und das Drumherum zu gehen und zu verstehen, wie eine Komposition konstruiert ist. Das muss ich mit Herz und Seele spüren. Mit diesem Wissen spielt man ein Werk dann ganz anders. Das ist aber mein persönlicher Weg. Ich kenne viele Kollegen, die wollen das nicht oder brauchen das nicht; die finden ihren Zugang auf andere Weise zum Komponisten. Ich brauche aber „the whole picture“, das ganze Bild. Wenn ich diesen intellektuellen Ansatz dann noch mit den Emotionen in der Musik – gerade wenn man an die Klavierquartette von Johannes Brahms denkt – verbinden kann, ist das eine ideale Kombination.

 

Für dieses Kammermusikalbum haben Sie sich Unterstützung von David Finckel (Cello) und Wu Han (Klavier) sowie der Bratschen-Legende Paul Neubauer geholt. Wie war die Zusammenarbeit?

David Finckel und Wu Han gehören zu meinem engsten Freundeskreis und wir spielen seit über zehn Jahren Hunderte von Konzerten in verschiedenen Besetzungen zusammen. David hat uns mit Paul Neubauer zusammengebracht. Vom ersten Ton an wusste ich, dass er ein sensationeller Spieler ist. Nicht nur, weil er sein Instrument beherrscht, sondern weil er die Bratsche so klingen lassen kann, wie man es eigentlich nicht mehr kennt. Sehr an die alten Meister angelehnt. Ich war hin und weg von seinem Spiel. Dann ergab sich die Gelegenheit, im März eine Tour durch Amerika zu machen, und ich habe vorgeschlagen, eines der Konzerte aufzuzeichnen. Aus den beiden Konzerten im Lincoln Center in New York haben wir dann einen Live Mitschnitt gemacht. Durch die Energie des Publikums, die Atmosphäre des Saals und unser Zusammenspiel spürt man den emotionalen Furor und die melodische Schönheit dieser Musik noch intensiver.

 

Um genügend Material zu besitzen, haben Sie aufregende Entdeckungsreisen unternommen: in die Neue Musik, in den Jazz, in indische Musik oder in Crossover-Projekte, unter anderem mit Sting. Wie wichtig ist der Blick über den Tellerrand der Klassik für Sie?

Der ist mir sehr wichtig, weil ich aus jeder Form von Musik neue Energie und neue Impulse ziehe. Nicht jede Zusammenarbeit funktioniert, aber ich versuche einen Dialog aufzubauen. Das ist jedes Mal eine spannende Erfahrung. Dabei kenne ich keine Schubladen. Ich bin in einem Umfeld fantastischer Musiker groß geworden und da war für mich ein Ravi Shankar nicht weniger unglaublich als ein Rostropowitsch. Beide haben auf ihre Art und Weise die pure Musik verkörpert.

Sie haben bereits in den größten Konzertsälen der Welt gespielt, am 31. Mai spielen sie im eher kleinen Eduard-Söring-Saal im Ahrensburger Schloss. Wie wichtig ist das Umfeld für Sie bei einem Konzert?

Das Umfeld spielt eine extrem wichtige Rolle. Das bedeutet aber nicht, dass es nur in der Großstadt möglich ist. Im Gegenteil: manchmal sind die kleineren und intimeren Orte geeigneter, weil dort unglaublich viel zwischen Interpret und Publikum passiert. Gerade auf Ahrensburg freue ich mich besonders, weil ich dort einen Soloabend gebe. Das mache ich sehr selten. Nur die Geige klingen zu lassen, ist eine große Herausforderung für mich.
Was erwartet die Besucher bei Ihrem Programm „Zwischen Himmel und Hölle“?

Das Programm ist eine musikalische Reise, die die Vielfalt des Instruments zeigt. Angefangen in der Spätrenaissance mit Komponisten wie Westhoff und Biber über Johann Sebastian Bach in die Moderne mit Erwin Schulhoff, Penderecki und Schnittke. Das Programm zeigt die Höhen und Tiefen der Emotionen. Der Titel „Zwischen Himmel und Hölle“ bezieht sich auf das Göttliche in den Kompositionen von Bach und den Mythos Paganini, der seine Seele an den Teufel verkauft haben soll. Diese Emotionen kommen in Ahrensburg auf die Bühne, denn ich moderiere den Abend, erzähle Geschichten, spiele aber vor allem viel Musik.

 

Im Sommer sind Sie dann zu Gast beim Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) und gestalten in Lübeck ein facettenreiches Programm, das sich ein ganzes Wochenende lang dem Thema Familie widmet. Wie ist es dazu gekommen und was erwartet die Besucher?

Lübeck ist für mich eine wichtige Station in meinem Leben, da ich dort studiert habe und meinen wichtigsten Geigenlehrer, Zakhar Bron, kennengelernt habe. Als Schüler habe ich die Anfänge des SHMF bei den Musikfesten auf dem Lande und den Meisterkursen miterlebt. Schon als kleiner Knirps hatte ich wirklich fantastische Begegnungen mit Bernstein und Celibidache. Lübeck ist wie eine zweite Heimat für mich. SHMF-Intendant Christian Kuhnt hat mich eingeladen, ein ganzes Wochenende dem Thema Familie zu widmen und die Altstadt von Lübeck zu bespielen. Ich werde elf Konzerte gestalten und bei fast allen selber mitspielen. Die Familie Mann spielt an diesem Wochenende ebenso eine Rolle wie die Familie Bach und die Familie Schumann. ‚Familie‘ lautet allerdings nicht nur das Motto zahlreicher Konzerte – verwandtschaftliche Beziehungen verbindet auch einige der mitwirkenden Künstler. Ich freue mich sehr, dass ich an so vielen verschiedenen – kleinen wie großen – Orten in Lübeck Musik spielen darf.

 

Ist das bereits Ihre Visitenkarte für eine mögliche Artist in Residency beim SHMF?

(lacht) Das müssen Sie den Intendanten fragen.

 

Auch der Tschaikowsky-Schwerpunkt spielt an diesem Wochenende eine Rolle. Wie wichtig ist der Komponist für Sie als Geiger?

Sein Violinkonzert gehört zu den wichtigsten Werken für unser Instrument im 19. Jahrhundert, ein Meilenstein im musikalischen Ausdruck der Geige. Ich spiele sein „Souvenir de Florence“, das ich noch mehr liebe als das Violinkonzert, denn es ist eine musikalische Tour de Force. Wir werden aber in dem Programm mit Katja Riemann auch andere Ausschnitte aus seinen Werken hören und die Begegnung zwischen Tschaikowsky und Brahms beleuchten.

Die CD »Brahms – Schumann – Mahler: Klavierquartette« ist bei Deutsche Grammophon (2015) 4794609 erschienen.

 

Foto Harald Hoffmann
Foto Harald Hoffmann

Zur Person:

Daniel Hope, 1974 in Durban, Südafrika, geboren, begann als Vierjähriger mit dem Violinspiel. Später hatte er Geigenlehrer von Weltrang: Yehudi Menuhin und Zakhar Bron. Er profilierte sich zunächst mit einem weniger marktgängigen Repertoire, bei Menuhins Abschiedskonzert etwa wählte er Alfred Schnittke, auch zu Britten und Berg greift er gern. Den Durchbruch hat er jedoch mit dem bekanntesten aller Violinstücke, mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“: Auf dem Münchner Marienplatz springt er im Jahr 2000 für Nigel Kennedy ein, 20 000 Zuschauer bejubeln ihn. Erfolge feierte er sowohl solo als auch mit seinen Kollegen vom Beaux Arts Trio, dessen Mitglied er von 2002 bis 2009 war. Daniel Hopes Horizont reicht über den Geigenrand hinaus. Er recherchierte seine Familiengeschichte und setzt sich für vergessene Musik ein, die im KZ Theresienstadt entstand. Daniel Hope wurde mit Grammy-Nominierungen und vielen Preisen ausgezeichnet, zuletzt 2013 mit dem sechsten Klassik-Echo.

• Daniel Hopes Homepage

Termine:

  • 24.07.-26.07.2015: Hope-Festival beim SHMF – Familienstücke in Lübeck

Das vollständige Programm unter www.shmf.de