Hayato Sumino: „Die musikalischen Welten des Jazz und der Klassik sind für mich nicht getrennt“

Der 29-jährige Japaner Hayato Sumino wird am 18. Juli mit dem Leonard Bernstein Award 2025 des Schleswig-Holstein Musik Festivals ausgezeichnet. Der Preis i.H.v. 10.000 Euro wird jedes Jahr an herausragende Musiktalente von der Sparkassen Finanzgruppe gestiftet. Gemeinsam mit dem Schleswig-Holstein Festival Orchestra unter der Leitung von Holly Choe wird er das Klavierkonzert Nr. 2 von Sergei Rachmaninoff spielen.

Bernstein Award Preisträger Hayato Sumino. Foto Ryuya Amao

2021 stellte der japanische Pianist Hayato Sumino einen Rekord auf, als 45.000 Zuschauerinnen und Zuschauer live seine Darbietung bei der zweiten Runde des renommierten Internationalen Chopin-Klavierwettbewerbs in Warschau verfolgten. Der junge Musiker überzeugt nicht nur dank seiner brillanten Technik und großen Ausdruckskraft auf der Konzertbühne, er ist zudem ein umtriebiger Youtuber, der mittlerweile über 1,4 Millionen Follower hat. Unter seinem Künstlernamen »Cateen« erreicht er auch junge Menschen abseits der Klassikszene – mit seinen Einspielungen bestehender Werke, aber vor allem auch seinen fantasievollen Improvisationen und Kompositionen. Darüber hinaus ist er in der Jazzszene aktiv und ein begeisterter studierter Naturwissenschaftler.

Herr Sumino, Sie erhalten in diesem Jahr den Leonard Bernstein Award des SHMF. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung persönlich und künstlerisch?

Leonard Bernstein war schon immer eines meiner musikalischen Vorbilder. Schon als Kind war ich nicht nur von seiner Musik inspiriert, sondern auch von der leidenschaftlichen und menschlichen Art, mit der er über den Wert der Musik in unserem Leben sprach. Diese Auszeichnung in seinem Namen zu erhalten, ist eine große Ehre und zugleich eine demütigende Ermutigung. Künstlerisch erinnert sie mich daran, weiterhin Grenzen zu überschreiten – so wie Bernstein es selbst getan hat.

Für Ihr Preisträgerkonzert haben Sie Rachmaninoffs 2. Klavierkonzert gewählt – ein ikonisches Werk der Romantik. Was fasziniert Sie an diesem Stück, gerade auch im Kontrast zu Ihrer eher modernen Bühnenpräsenz?

Dieses Werk hat mich an einem Wendepunkt meines Lebens begleitet. Ich habe es gespielt, als ich meinen ersten großen Wettbewerb in Japan gewann – das hat mich zu einem Leben mit der Musik geführt. Rachmaninoff hat die Filmmusik und populäre Musik stark beeinflusst, und in diesem Sinne hat er auch mich direkt und indirekt geprägt. Sein romantischer Ausdruck und seine harmonische Sprache haben definitiv meine Art zu improvisieren und zu komponieren beeinflusst.

Sie sind sowohl als klassischer Pianist als auch als Jazzmusiker und Improvisator aktiv. Wie beeinflussen sich diese verschiedenen musikalischen Welten in Ihrem Spiel?

Improvisation überschneidet sich stark mit der Welt des Jazz, aber sie hat auch tiefe Wurzeln in der klassischen Musik – früher war sie ein wesentlicher Bestandteil davon. Diese musikalischen Welten sind für mich nicht getrennt; sie interagieren ständig miteinander. Der Jazz gibt mir ein starkes Gefühl für Rhythmus und Groove, während mir die Improvisation hilft, Musik strukturell und kreativ zu verstehen. Wenn ich diese Elemente in die klassische Interpretation einbringe, kann ich dem Notentext mit einer Mischung aus Traditionsbewusstsein und Spontaneität begegnen.

Unter dem Pseudonym Cateen erreichen Sie auf YouTube und Social Media ein junges Publikum, das oft wenig Berührung mit klassischer Musik hat. Was ist Ihr Geheimnis, um diese Zielgruppe zu begeistern?

Ich denke eigentlich nicht in Geheimnissen – ich versuche einfach, Dinge zu teilen, die ich selbst wirklich spannend finde. Ich habe angefangen, Videos auf YouTube hochzuladen, aus reiner Neugier. Mit der Zeit habe ich erkannt, dass man durch eine offene und zugängliche Präsentation der klassischen Musik neue Verbindungen schaffen kann. Wenn ich ehrlich bin und selbst Freude an der Musik habe, scheint das andere unabhängig von ihrem musikalischen Hintergrund mitzuziehen.

Sie haben sich bewusst entschieden, Ihre Identität als Cateen zunächst geheim zu halten, um nicht als Pop-Pianist abgestempelt zu werden. Wie wichtig ist Ihnen heute der Blick über den Tellerrand?

Ich versuche nicht unbedingt, „außerhalb des Rahmens“ zu denken. Ich wähle einfach aus verschiedenen Wertesystemen unterschiedlichster Welten, um mein eigenes zu gestalten. Für mich bedeutet Einzigartigkeit, eine breite Perspektive zu haben und aus vielen Richtungen Einflüsse aufzunehmen, um daraus eine eigene Welt zu formen.

Die Pandemie war für viele Künstler eine Herausforderung, für Sie aber auch eine Zeit des kreativen Aufbruchs auf YouTube. Wie hat diese Zeit Ihr Selbstverständnis als Künstler verändert?

Es war eine seltsame Zeit, aber auch ein Wendepunkt. Als Konzerte abgesagt wurden, wurde YouTube zu einem kreativen Ventil. Ich entdeckte, wie sehr mir das Entwickeln von Ideen, das Bearbeiten von Videos und das Teilen von Musik auf eine andere Art Freude bereitete. In dieser Zeit wurde mir klar, dass ich den Weg eines klassisch ausgebildeten Pianisten gehen möchte, der auch improvisiert und arrangiert. Das war der Moment, in dem ich begann, darüber nachzudenken, wie ich Hayato Sumino und Cateen zu einer künstlerischen Identität verschmelzen lassen kann.

Sie bewegen sich virtuos zwischen digitaler Popkultur und den ehrwürdigen Konzertbühnen der Welt. Was kann die Klassikszene Ihrer Meinung nach von digitalen Formaten und Social Media lernen – und was sollte sie vielleicht besser bewahren?

Digitale Plattformen ermöglichen es, zu experimentieren und ein Publikum weit über den Konzertsaal hinaus zu erreichen – das ist kraftvoll. Aber die Klassik sollte die Integrität der Live-Aufführung bewahren: die Präsenz, die Stille, die Nuancen. Die Herausforderung besteht nicht darin, das eine durch das andere zu ersetzen, sondern beide Welten nebeneinander existieren und sich gegenseitig bereichern zu lassen.

Sie haben einen naturwissenschaftlichen Hintergrund und einen Masterabschluss in Ingenieurwissenschaften. Inwiefern beeinflusst Ihr wissenschaftliches Denken Ihre Herangehensweise an Musik und Kreativität?

Isaac Newton sagte einmal: „Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stand.“ Dieser Satz erinnert uns daran, dass Fortschritt darauf beruht, auf den Leistungen derjenigen aufzubauen, die vor uns kamen. Als Forscher habe ich mich ständig gefragt: „Was kann ich wirklich Neues beitragen?“ Diese Denkweise begleitet mich auch als Musiker. Ich studiere die Grundlagen, die die Großen gelegt haben, und suche dann nach einem frischen Beitrag – etwas, das die Linie weiterführt, statt sie nur zu wiederholen.

Sie sind international unterwegs, leben aber auch zwischen verschiedenen Kulturen. Wie prägt Ihre japanische Herkunft Ihre Musik und Ihr künstlerisches Selbstverständnis?

Mein japanischer Hintergrund vermittelt mir eine Sensibilität für Stille, Raum und Subtilität – Qualitäten, die mein Phrasieren und meinen Klang stark beeinflussen. Es gibt auch eine kulturelle Betonung auf Harmonie und Bescheidenheit, die sowohl meine musikalische Arbeit als auch die Zusammenarbeit mit anderen prägt. Zwischen den Kulturen zu leben hat mir geholfen, ein Gleichgewicht zwischen Tradition und Offenheit zu finden.

Das Preisträgerkonzert gestalten Sie zusammen mit dem Festivalorchester. Was möchten Sie den jungen Musikern mitgeben, die sich für eine Karriere im Klassikbetrieb entscheiden? Welche Rolle kann digitale Kommunikation dabei spielen?

Ich würde ihnen raten, neugierig und offen zu bleiben – breit zu hören und sich nicht auf ein Genre oder einen Weg zu beschränken. Die Klassikwelt entwickelt sich weiter, und digitale Werkzeuge können helfen, mehr Menschen zu erreichen. Aber letztlich zählt vor allem Authentizität – ob auf der Bühne oder online: Die musikalische Stimme sollte aufrichtig und persönlich sein.

Haben Sie einen Traum – musikalisch oder persönlich –, den Sie sich in den kommenden Jahren erfüllen möchten?

Ich bin nicht der Typ, der offen über seine Träume spricht, aber ich würde gerne für größere Ensembles komponieren – etwa für Klavier und Orchester – und hoffe, in Zukunft an Filmmusik arbeiten zu können.

INFO:

Leonard Bernstein Award
18. Juli, 19.30 Uhr, Musik-und Kongreßhalle Lübeck

Preisträgerkonzert
19. Juli, 19.30 Uhr, Messe Husum