Wenn der Sommer beginnt: Bräuche zur Sommersonnenwende in Europa

Am 21. Juni erreicht die Sonne ihren höchsten Stand – die Sommersonnenwende markiert den längsten Tag des Jahres. Überall in Europa wird dieses Naturereignis mit traditionellen Festen, Ritualen und Bräuchen gefeiert, die tief in der Kultur verankert sind.

Sechzehn Stunden Licht und nur acht Stunden Dunkelheit – wenn der längste Tag in die kürzeste Nacht des Jahres übergeht, beginnt vielerorts die Zeit der Rituale. Nicht erst seit Shakespeares „Sommernachtstraum“ ist die Mittsommernacht ein Ort des Zaubers und des Spiels mit der Realität. Aber auch jenseits der Bühne feiern verschiedene Kulturen weltweit die Sonnenwende rund um den 21. Juni: vom lodernden Bergfeuer über magisches Kräutersammeln bis hin zu Märchenwanderungen mit Elfen und Feen. 

Bereits im Mittelalter wurden Sonnwendfeuer veranstaltet, um Dämonen zu vertreiben, vor Krankheiten zu schützen und für eine ertragreiche Ernte zu sorgen. Heute ist der Brauch weit mehr als ein uralter Aberglaube: Das sinnliche Erlebnis bringt Menschen zusammen. 

Österreich: Herz-Jesu Bergfeuer – Symbol von Heimatverbundenheit

Lodernde Hoffnungssymbole und Feuer läuten in den Alpenregionen und auch hierzulande seit Jahrhunderten die Sommersonnenwende ein – wie hier im österreichischen Osttirol. © TVB-Osttirol/Elias Bachmann

Traditionell am zweiten Sonntag nach Fronleichnam erstrahlen die Gipfel von Innsbruck bis Meran im Schein der Herz-Jesu-Feuer. Das alljährliche Ritual soll an die Bedrohung Tirols durch die französischen Truppen unter Napoleon erinnern. Mit der Bitte um göttlichen Beistand 1796 erstmals entzündet, gelten die brennenden Herzen und Kreuze auf den Bergrücken bis heute als Symbol tiefer Heimatverbundenheit. Der Ursprung liegt in den heidnischen Sonnwendfeuern, die im Zuge der Christianisierung zu Ehren von Heiligen angezündet und schließlich vom Herz-Jesu-Brauch abgelöst wurden, nachdem Andreas Hofers Truppen in der Schlacht gegen die Franzosen und Bayern überraschend siegten. Eigentlich kann man das leuchtende Spektakel, stets mit aufwändigster Vorbereitung und unter größter Anstrengung von örtlichen Vereinen realisiert, in ganz Tirol und Südtirol beobachten. Besonders gute Sicht darauf aber hat man in Osttirol, wo am 28. Juni nicht weniger als gut 2.500 Einzelfeuer brennen, sowie am Lechweg im Tiroler Lechtal mit seiner geringen Lichtverschmutzung. Tipp jenseits des Brenners: Von Schenna bietet sich Urlaubern am 29. Juni ein 360-Grad-Blick über den gesamten Meraner Talkessel mit seinen flammenden Bergspitzen.

Tschechien: Johannisfest zwecks Männersuche

Zum jahrhundertealten Ritual der „Svatojánské slavnosti“, wie die Mittsommernacht in Tschechien genannt wird, gehört ein Strauß aus neun magischen Kräutern: darunter Johanniskraut, Kamille, Thymian, Kornblume und Veilchen. © Kudyznudy.cz/ CzechTourism

In Tschechien ist die Sommersonnenwende nicht nur ein astronomisches Ereignis, sondern poetischer Auftakt zu einem tief in der Kultur des Landes verwurzelten Brauch: Rund um den Namenstag des Heiligen Jan am 24. Juni entfalten sich landauf, landab die stimmungsvollen Johannisfeste. Das zentrale Ritual der „Svatojánské slavnosti“ dreht sich um junge Frauen, die auf der Suche nach neun magischen Kräutern schweigend durch Felder und Wiesen streifen. Der gesammelte Strauß wird dann unters Kopfkissen gelegt – und in der Johannisnacht, so glaubt man, erscheint der künftige Ehemann im Traum. Und Sommernachtsträume gelten in Tschechien als besonders wahrheitsgetreu. Der Strauß wird später rituell verbrannt, samt allem, was man aus dem alten Halbjahr nicht mitnehmen will.

Schweiz: Ratafiàgeheimnisumwitterter Nusslikör

In der Johannisnacht zieht es die Kapuzinermönche des Tessiner Klosters Bigorio bei Lugano in ihre Gärten. Dort, schweigend und im Dunkeln, ernten sie grüne Walnüsse von Hand, um sie anschließend in Scheiben geschnitten im Destillat einzustampfen. 40 Tage ruht der Ansatz dann in der Sonne, dunkelt nach, wird würziger. Am Ende steht ein Tropfen Tessiner Kultur, herb und warm. Ratafià nennen die Mönche ihren geheimnisumwitterten Nusslikör, der auf das das lateinische „rata“ – „fiat“ (ratifizieren) zurückzuführen ist und bei der Besiegelung von Verträgen getrunken wurde. 

Schweden: Midsommar – Ein Fest der Freude

Mittsommer ist einer der berühmtesten Feiertage in Schweden. Tagsüber wird ein Maibaum geschmückt und aufgestellt, um den sich die Menschen versammeln, um zu tanzen und zu singen.

Foto Anna Hållams / Visit Sweden

In Schweden ist Midsommar eines der bedeutendsten Feste des Jahres. Familien und Freunde versammeln sich, um den Sommer mit Blumenkränzen im Haar, traditionellen Tänzen um den Maibaum und dem Genuss von Hering, Kartoffeln und Schnaps zu begrüßen. Ein alter Brauch besagt, dass unverheiratete Frauen in der Mittsommernacht sieben verschiedene Wildblumen pflücken und unter ihr Kopfkissen legen sollen, um von ihrem zukünftigen Ehemann zu träumen.

Baltikum: Jāņi, Jaanipäev und Joninės

In Lettland wird die Sommersonnenwende als Jāņi gefeiert. Menschen tragen Blumenkränze, singen Lieder und tanzen um Lagerfeuer. Kümmelkäse und Bier sind kulinarische Höhepunkte des Festes. In Estland heißt das Fest Jaanipäev, und in Litauen wird Joninės gefeiert. Hier suchen die Menschen nach der sagenumwobenen Farnblüte, die nur in dieser Nacht blühen und Glück bringen soll.

Norwegen: Slinningsbålet – Das höchste Freudenfeuer

In Ålesund, Norwegen, wird das Slinningsbålet entzündet – eines der höchsten Freudenfeuer der Welt. Wochenlang bauen die Einwohner einen riesigen Holzturm, der am Abend des 21. Juni in Flammen aufgeht. Dieses spektakuläre Ereignis zieht zahlreiche Besucher an und symbolisiert die Verbrennung des Alten, um Platz für Neues zu schaffen.

Spanien: Fallas del Pirineo – Feuerläufe in den Pyrenäen

In den spanischen Pyrenäen, insbesondere in Aragonien und Katalonien, werden die Fallas del Pirineo gefeiert. Dabei tragen die Teilnehmer brennende Fackeln von den Bergen hinab in die Dörfer, um dort große Feuer zu entzünden. Diese Tradition, die den Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter markiert, wurde 2015 zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt.

Deutschland: Johannisfeuer und zauberhafte Begegnungen

Auch in Deutschland wird die Sommersonnenwende gefeiert, oft in Verbindung mit dem Johannistag am 24. Juni. In Bayern und anderen Regionen werden Johannisfeuer entzündet, um die Sonne zu ehren und böse Geister zu vertreiben. Ein weiterer Brauch ist das Binden von Kräuterbuschen aus Johanniskraut, Arnika, Beifuß und anderen Pflanzen, denen heilende Kräfte zugesprochen werden. Auch in der Ferienregion Schwarzwald ranken sich Märchen und Geschichten rund um die Sommersonnenwende. Einige davon gibt Ulrike Lingner in ihrer Rolle als „Abnoba, die Märchenerzählerin“ am 22. Juni 2025 im „Dorfurlaub“-Ort Loßburg im Nordschwarzwald zum Besten. Gemeinsam kommen Groß und Klein bei der sommerlichen Wanderung durchs „Zauberland am Kinzigsee“ dem Geheimnis eines seltsamen Kräuterdiebs auf die Spur, lauschen Erzählungen über geheimnisvolle Bäume und erfahren etwas über zauberhafte Begegnungen mit Elfen und Feen.

Die Sommersonnenwende ist mehr als nur ein astronomisches Ereignis – sie ist ein Fest des Lichts, der Gemeinschaft und der Naturverbundenheit. Ob in Skandinavien, den Alpen oder dem Baltikum – überall in Europa wird dieser besondere Tag mit einzigartigen Bräuchen und Ritualen begangen, die die kulturelle Vielfalt und die tiefe Verbindung der Menschen zur Natur widerspiegeln.