Mit Wolltraud gut gelaunt durch den Festivalsommer

Das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF) feiert 40. Geburtstag und rückt im Jubiläumsjahrvom 5. Juli bis zum 31. August 2025 die Musikmetropole Istanbul und den Pianisten Fazıl Say in den Mittelpunkt.

Es war schon eine kleine Sensation, als vor 40 Jahren mit dem ersten Schleswig-Holstein Musikfestival (SHMF) das landwirtschaftlich geprägte Flächenland zur internationalen Konzertbühne wurde. Plötzlich traten Künstler wie der US-amerikanische Komponist, Dirigent und Pianist Leonard Bernstein oder der US-amerikanische Violinist, Dirigent und Bratschist Yehudi Menuhin in Scheunen und Gutshäusern im Norden auf.

Inzwischen hat sich das Festival längst zu einer festen Größe im alljährlichen Kulturkalender etabliert. Mit über 200 Veranstaltungen während des Sommers verwandelt es so manchen entlegenen Winkel des Bundeslandes zu einem musikalischen Hotspot. Auch in Dithmarschen sind nach und nach immer mehr Spielstätten dazu gekommen. Aktuell weist der SHMF-Konzertkalender mit Brunsbüttel, Marne, Meldorf, Heide, Wesselburen, Wöhrden und Büsum sieben Festivalorte im Westküstenkreis auf. In diesem Jahr rückt das SHMF vom 5. Juli bis zum 31. August 2025 die Musikmetropole Istanbul und den Pianisten Fazıl Say in den Mittelpunkt. Im Interview verrät Intendant Dr. Christian Kuhnt das Erfolgsrezept des größten Klassikfestivals Deutschland und worauf das Publikum sich im Jubiläumsjahr freuen darf.

SHMF-Intendant Dr. Christian Kuhnt

Was ist das Erfolgsrezept des Schleswig-Holstein Musik Festivals?

Am 5. Juli 1985 wurde nicht nur ein Musikfestival gegründet, sondern eine gigantische, musikalische Bürgerinitiative. Und das ist bis heute spürbar: dass wir kein Festival sind, das von oben kommt, sondern mit Menschen vor Ort gemeinsam auf die Beine gestellt wird. Der Festivalverein hat heute über 8600 Mitglieder und wächst von Jahr zu Jahr. Außerdem nutzt das SHMF nicht nur klassische Konzertsäle, sondern viele außergewöhnliche Orte wie Scheunen, Schlösser, Gutshäuser, Kirchen und Werften. Diese besondere Atmosphäre macht jedes Konzert zu einem einzigartigen Erlebnis.

Welche Rolle spielen die Ortsbeiräte in dem Festivalkonzept?

Die über 300 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die bei uns seit der Gründung ‚Beiräte‘ genannt werden, sorgen für den einmaligen, familiären Charme des Festivals. Wir als Hauptamtliche können ja gar nicht überall schon vor dem Konzert vor Ort sein, um die Künstler zu empfangen. Das machen die Ortsbeiräte mit selbst gebackenem Kuchen, leckeren Schnittchen oder liebevollen Obstkörben. Sie besorgen auch schon mal schwarze Schuhe, wenn ein Künstler vielleicht mal seine Konzertschuhe vergessen hat, und kümmern sich um die Blumendeko auf der Bühne. Die Künstler, die ja viel rumkommen und aus aller Welt stammen, lieben diese familiäre Atmosphäre, die im Konzertbetrieb schon etwas Besonderes ist.

Wie wird in diesem Jahr gefeiert?

Ich habe den Eindruck, das wird tatsächlich eine wochenlange Party. Sie beginnt mit Sting in Kiel auf dem Nordmarksportfeld. Ein Künstler, mit dem ich sehr viel verbinde, weil ich bei der Tour zu seinem ersten Soloalbum „The Dream of the Blue Turtles“ im November 1985 dabei war. Ein unvergessliches Ereignis, weil ich so fasziniert war, wie ein Popkünstler mit Mitteln des Jazz etwas Neues schafft. Das ist es, was für mich Kreativität ausmacht: wenn Neues entsteht aus der Kombination von Dingen, die aus anderen Zusammenhängen vielleicht schon bekannt sind. Weiter geht es mit „Den Fantastischen Vier“ – man darf nicht vergessen, Smudo und Andi Ypsilon haben sich 1986, also im ersten Festivaljahr, zusammengetan; nicht sofort, um „Fanta 4“ zu gründen, das kam erst später, aber um den Hip-Hop auf deutsche Art und Weise zu interpretieren. Und dass Herbert Grönemeyer kommt, mit ‚seinem‘ Orchester, den Bochumer Symphonikern, und als Dirigent zu erleben sein wird, ist für uns schon ein ganz besonderes Schmankerl.

Aber es gibt natürlich auch viele klassische Gratulantinnen und Gratulanten, unter anderem auch Weggefährten, die seit 40 Jahren dabei sind.

Es war uns ganz wichtig, mit unseren eng verbundenen Freunden gemeinsam zu feiern. Dass zum Beispiel Weltstar Anne-Sophie Mutter mit dem Royal Philharmonic Orchestra aus London wieder zu uns kommt, ist eine ganz besondere Ehre. In dieser Kombination waren sie 1986 eben auch schon bei uns zu erleben. Midori ist wieder dabei, die 1986 eine ganz junge Geigerin war. Christoph Eschenbach, der das Festival 1985 mitgegründet hat, ist selbstverständlich da, und wir feiern auch noch seinen 85. Geburtstag mit einer Reihe von Konzerten. Und ich freue mich besonders auf Stefan Vladar, der mittlerweile Generalmusikdirektor am Theater in Lübeck ist und der 1986 einen Klavierabend auf Gut Hasselburg spielte. Das Konzert in der dortigen Scheune wiederholen wir nach 40 Jahren zu D-Mark-Preisen. Also wir haben die Preise, die es damals gab, einfach eins zu eins in Euro umgerechnet.
Es kommen auch Ensembles wieder, wie die „Academy of St. Martins in the Fields“, ein Gastorchester, das das Festivalprogramm in 40 Jahren so geprägt hat wie kein anderes.

Festivalschwerpunkt ist in diesem Jahr Istanbul. Da stellt sich die Frage nach der Henne und dem Ei: wer war zuerst da? Der Porträtkünstler, über den wir gleich noch sprechen, oder die Idee für den Städteschwerpunkt?

Definitiv zuerst der Porträtkünstler Fazıl Say. Durch ihn angeregt, haben wir uns intensiv mit Istanbul beschäftigt. Wir waren überhaupt keine Experten. Aber dieses Unbekannte hat uns gereizt. Wir wussten, dass diese Stadt, die ja bis vor 100 Jahren Konstantinopel hieß, reich an Kulturleben ist und ein Schmelztiegel, in dem sich unterschiedliche ethnische Gruppen, Religionen und Traditionen in einer lebendigen und hochspannenden Musikszene widerspiegeln. Wir sind in diesen Kosmos eingetaucht mit dem Ergebnis, dass wir unfassbar viel entdeckt haben und uns jetzt darauf freuen, gemeinsam diese Entdeckung mit unserem Publikum zu teilen.

Welche Rolle spielt dabei der diesjährige Porträtkünstler Fazıl Say?

Kein anderer vermag den diesjährigen Städteschwerpunkt und die verbindende Kraft der Musik so eindrucksvoll verkörpern wie er. Er schlägt mit seiner Musik Brücken zwischen Klassik und Jazz, Orient und Okzident, Hoch- und Popkultur. Ich kenne ihn seit 26 Jahren. Wenn man ihn im Konzert erlebt, dann weiß man vorher nie hundertprozentig, was auf einen zukommt, denn er improvisiert auch in der klassischen Musik. Auch im Interpretieren klassischer Musik ist sein Spiel immer voller Überraschungen – im aller positivsten Sinne – mit sehr viel Respekt einem Johann Sebastian Bach oder Mozart gegenüber. Aber er schafft auch immer wieder etwas spannend Neues. Und das hat uns sehr gereizt. Und da er nicht nur Pianist ist, sondern auch einer der gefragtesten zeitgenössischen Komponisten, haben wir das zum ersten Mal in der Geschichte des Festivals kombiniert: dass der Porträtkünstler gleichzeitig Komponist und Interpret ist. Wir werden fünf seiner Symphonien erleben – absolute Meisterwerke – und sehr viel Kammermusik. Insgesamt sind es 17 Konzerte, die wir ihm gewidmet haben. Eins davon findet am 16. Juli auch in Wesselburen statt.

Porträtkünstler Fazil Say. Foto Fethi Karaduman

Es kommen in diesem Jahr viele ehemalige Porträtkünstler und ehemalige Bernstein Award-Preisträger zum Festival an die Westküste. Wer ist der Preisträger in diesem Jahr?

Der Pianist Hayato Sumino bekommt den Bernstein Award 2025. Er knüpft an eine Tradition an, die mit Lang Lang vor über 20 Jahren begann. Er ist am Tag nach der Verleihung in der Messe Husum zu erleben. Im letzten Jahr hat die herausragende Cellistin Anastasia Kobekina den Preis bekommen. Auch Kit Armstrong, Preisträger des Jahres 2010, ist im Jubiläumsjahr dabei. Beide gestalten zusammen mit Sabine Meyer zum Beispiel in Marne ein zauberhaftes Kammermusikprogramm.
Das zeigt, der Award ist keine Eintagsfliege, sondern die Eintrittskarte in die Festival-Familie. Wir überreichen nicht einfach einen Scheck mit Urkunde und sagen dann „Goodbye“, sondern es bedeutet eine lange Beziehung, die wir gemeinsam pflegen. Das Gleiche gilt auch für die ehemaligen Porträtkünstler. Angefangen mit Sol Gabetta in meinem ersten Jahr 2014. Sie wird wieder dabei sein, aber auch Avi Avital. Er wird eine Uraufführung unseres Porträtkünstlers präsentieren. Daran sieht man, dass die Künstler, die bei uns aktiv sind, sich auch gegenseitig befruchten. Sie lernen sich über das SHMF kennen und wir freuen uns, dass wir so eine kreative Plattform sein dürfen.

Zum Schluss müssen wir noch über das rosa Schaf sprechen, das die Festivalplakate schmückt. Was hat es damit auf sich?

Das rosa Schaf hat einen Namen und heißt Wolltraut. Es steht für das, was das Festival ausmacht: immer standhaft, immer gut gelaunt, auch mal bei Wind und Wetter. Wir hatten in den letzten 40 Jahren ja auch schon stürmische Zeiten beim Schleswig-Holstein Musikfestival. Wolltraut steht für den Norden und eben auch für eine unerschütterliche, gute Laune.

Am letzten Freitag war telefonischer Vorverkaufsstart. Viele Konzerte sind bereits ausverkauft. Warum sollte man sich trotzdem noch um Karten bemühen?

Die Frage, die ich am häufigsten gestellt bekomme, lautet: warum gibt es denn keine Karten mehr? Wenn man jetzt erst anfängt, Herbert Grönemeyer-Karten buchen zu wollen, dann kann ich prophezeien, ist dieses Konzert ausverkauft. Aber es lohnt sich immer noch, nach dem Telefon zu greifen und Karten zu kaufen. Wir halten keine großen Kontingente für unsere Fördervereinsmitglieder zurück oder für Sponsoren. Es gibt so viele Perlen fernab der ganz großen Namen. Daher rufe ich jedem zu: Seien Sie neugierig! Wir sorgen bei der Programmplanung dafür, dass man reicher an Eindrücken aus einem Konzert herauskommt als man hinein gegangen ist.

Das Programm findet man unter www.shmf.de. Die Ticket-Hotline lautet: 0431 23 70 70.