Der August wird ein aufregender Monat für den Klarinettisten David Orlowsky. Am Dienstag, den 20. August gibt er in der St. Laurentii-Kirche Tönning ein SHMF-Konzert mit seinem neuen Duopartner, dem vielseitigen Lautenisten David Bergmüller. Am 23. August erscheint sein neues Album „Petrichor“, das er bereits an diesem Samstag beim Musikfest in Pronstorf vorstellen konnte. Und nur vier Tage später feiert sein Klarinettenkonzert „Shadow Dancer“ im Großen Saal der Elbphilharmonie Hamburg Uraufführung, das das Schleswig-Holstein Musikfestival beiOrlowsky in Auftrag gegeben hat. Vorher nimmt sich der Klarinettist noch Zeit für ein Interview.
Wie hoch schlägt aktuell Ihr Puls und woher nehmen Sie die Energie für all Ihre Projekte?
Wenn Sie das jetzt hier alles so aufzählen, werde ich tatsächlich ein bisschen nervös. Aber eigentlich freue ich mich auf alle Projekte, die ich gemeinsam mit dem SHMF verwirklichen darf, mit dem ich schon so lange verbunden bin. Meinen ersten größeren Auftritt im Norden hatte ich bei einem der Musikfeste auf dem Lande vor vielen Jahren und bin dort immer wieder gern zu Gast. Dass das Festival mich nun mit der Uraufführung eines Klarinettenkonzert beauftragt hat, ist eine wahnsinnige Ehre.
Gehen wir die Projekte mal einzeln durch. Mit dem Programm „Alter Ego“ für Klarinette und Laute kommen Sie am Dienstag nach Tönning. Worauf darf dann das Publikum sich freuen?
Das ist ein Programm, das relativ nach innen gerichtet ist, fast eine knapp 70-minütige Meditation. Der dynamische Bogen ist nach oben hin relativ begrenzt, das heißt, es ist eher eine Reise in die leisen Töne, ins Nachdenkliche.
Musikgeschichtlich ist die Klarinette noch relativ neu, während die Laute schon in der Antike vorkam. Wieso passen die beiden Instrumente trotzdem so gut zusammen?
Da waren wir auch relativ überrascht. Das hat was mit den Obertönen zu tun. Es gibt Instrumente, die passen nicht so gut zusammen, weil sie sich im Tonspektrum Platz wegnehmen. Das ist bei Laute und Klarinette nicht der Fall. Beide Instrumente klingen wahnsinnig schön zusammen und ergeben eine Synergie. Als wir das herausgefunden haben, haben wir uns wahnsinnig gefreut. Wir haben ein Programm zusammengestellt, das sowohl die musikgeschichtlichen Zeitebenen als auch das Repertoire zusammenbringt. Da es kein Originalrepertoire gibt, haben wir uns die Stücke quasi auf den Leib geschrieben und Werke der Alten Musik von John Dowland bis Henry Purcell für Duo arrangiert.
Was fasziniert Sie an der Klarinette?
Die Klarnette ist eigentlich meine Stimme. Da ich keine gute Singstimme habe, ist die Klarinette im wahrsten Sinne des Wortes ein Instrument, ein Mittel zum Zweck, um mich ausdrücken zu können. Wenn ich spiele, denke ich wie ein Sänger; daher sind viele meiner musikalischen Vorbilder auch Sänger.
Am 23. August erscheint ihr neues Album „Petrichor“, auf dem Sie sich wie schon oft zuvor neu erfinden. Ich habe den Begriff vorher noch nie gehört. Verraten Sie, wofür er steht !?
Das ist der Name für den Duft, der entsteht, wenn Regen auf trockenen Boden fällt. Allerdings habe ich auch erst vor 23 Jahren erfahren, dass es einen Namen dafür gibt. Er ist 1964 von australischen Forschern in einem Fachartikel formuliert worden, in dem sie beschreiben wie der Geruch durch ein Öl entsteht, das bestimmte Pflanzen während Trockenperioden absondern. Das war ein Duft, den ich schon als Kind sehr geliebt habe. Daher war ich sehr erfreut, dass es dafür sogar einen Namen gibt.
Auf dem Album haben Sie insgesamt elf Düfte und Gerüche vertont. Wie duftet denn zum Beispiel Lissabon oder noch besser, wie hört sich das an?
Es ist sicher kein Zufall, dass wir von Duftnoten, Klangfarben und Farbtönen sprechen. Farben, Klänge und Düfte gehen weit über das hinaus, was man mit Worten beschreiben kann – sie haben meist auch eine visuelle Komponente für mich. Es gibt Melodien und Klänge, in die ich mich jedes Mal wieder verliebe, wenn ich sie höre, und manchmal fühle ich mich auch fast wie verliebt, wenn ein besonders schöner Duft mich überrascht. Bei „Lisboa“ denke ich an einen bestimmten Platz in Lissabon, an dem ich oft saß, als ich eine Zeitlang in der Stadt gelebt habe. Es gab eine Bäckerei und ein Fischrestaurant und man hat zudem immer auch das Meer gerochen. Je nach Windrichtung änderte sich das Aroma. Wie sich das anhört, muss jeder für sich entscheiden, denn jeder hat andere Bilder im Kopf, wenn er Musik hört. Ich würde die Klangwelt des Albums als ruhig beschreiben, mancher wird sie vielleicht sogar melancholisch nennen, andere werden sicher etwas Tröstendes beim Hören finden.
Der Höhepunkt des Konzertmonats August ist sicher die Uraufführung Ihres Klarinettenkonzerts „Shadow Dancer“. Wie ist es zu dieser Komposition gekommen?
Am Anfang gab es gar kein Auftragswerk, sondern es ging um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten, ihn zu akzeptieren und schließlich zum Tanz aufzufordern. Die Komposition ist inspiriert durch ein Zitat des Psychiaters C. G. Jung: »Wer zugleich seinen Schatten und sein Licht wahrnimmt, sieht sich von zwei Seiten, und damit kommt er in die Mitte.« Das hat mich fasziniert, weil wir alle mit unseren helleren und dunkleren Seiten unterwegs sind. Meine dunklen Seiten zu akzeptieren, war für mich ein wichtiger Prozess, bei dem ich das Gefühl hatte, die Kräfte in Einklang zu bringen. Das fühlt sich dann manchmal so an, als würde man damit auch ein bisschen tanzen – das ist das Bild, was mich zu diesem Konzert inspiriert hat.
Haben Sie denn durch das Komponieren Ihre Mitte gefunden?
Ich würde sagen, der Vorgang hat mich öfter auch mal ziemlich an den Rand gebracht. Aber ich glaube, die Mitte ist kein fester Ort, sondern sie bewegt sich. Ich weiß, wie sie sich anfühlt und dass sie etwas ist, was ich immer wieder anstrebe. Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema habe ich verstanden, dass es ein fortschreitender Prozess ist.
Wie können wir uns das Werk in seiner musikalischen Gestaltung vorstellen?
Ich habe mich an der Form des dreisätzigen Klarinettenkonzerts von Aaron Copland orientiert, das durchgespielt wird. Das heißt, die Sätze sind direkt miteinander verbunden und es gibt keine Pause. Es ist wie ein Klagelied, in dem die Klarinette immer wieder in Dialog mit der Sologeige tritt. Wer dabei möglicherweise der Schatten des anderen ist, überlasse ich dem Publikum. Wie bei Copland gibt es dann eine Solokadenz, bevor im dritten Satz so etwas wie ein Tanz auf dem Vulkan beginnt. Das ist eine wilde Geschichte aus Balkan und Techno, bei der ich hoffe, dass wir dann so ein bisschen die Kuh in der Elbphilharmonie fliegen lassen.
Und dafür haben Sie sich als Begleitung das Ensemble Reflektor ausgesucht. Warum ist genau dieses Orchester das richtige für dieses Projekt?
Ich mag das Ensemble sehr, weil es zum einen Genre-Grenzen nicht akzeptiert und weit über den Tellerrand hinausschaut, wenn sie überhaupt einen wahrnehmen. Zum anderen spielen sie im Stehen oder sitzen auf der Stuhlkante, was besonders energetisch ist. Für so ein Stück ist es gut, junge Leute zu haben, die absolut für die Musik brennen. Daher freue ich mich auf die Zusammenarbeit und denke, dass wir da ziemlich an einem Strang ziehen werden.
Di, 20. August, 19.30 Uhr
„Alter Ego“
St. Laurentii-Kirche Tönning
Di, 27. August, 20 Uhr
Fanny Mendelssohn: Ouvertüre C-Dur
David Orlowsky: Klarinettenkonzert »Shadow Dancer« (Uraufführung)
Felix Mendelssohn: Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 »Italienische«
Elbphilharmonie Hamburg
Das Album „Petrichor“ erscheint bei Warner Classics.